Auch ein Vorwurf sexueller Belästigung wurde laut. Jetzt ist lückenlose Aufklärung gefordert.
Die Wiener Staatsoper wird von einem Missbrauchsskandal erschüttert. Es geht um schwere Vorwürfe gegen die Ballettakademie: Kinder seien hier „Opfer autoritärer, gewalttätiger und gefährlicher Unterrichtsmethoden geworden“, zitiert der Falter eine Lehrerin. Von Demütigungen, Gewalt und Drill bis hin zu einem sexuellen Übergriff ist die Rede.
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Opern-Skandal: Missbrauch an Ballet-Akademie
Medizinische Behandlung nach Unfällen sei mangelhaft, ernährungswissenschaftliche Beratung praktisch nicht vorhanden. Schülerinnen seien geradezu in die Magersucht getrieben worden. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft ist bereits seit Monaten tätig. „Im Grunde hätten wir diesen Laden sofort zusperren müssen“, wird einer ihrer Berater anonym zitiert.
Schülerinnen getreten und von Lehrerin blutig gekratzt
Ein Teil der Vorwürfe konzentriert sich auf eine im Jänner gekündigte Lehrerin, die Schülerinnen unter anderem getreten, blutig gekratzt und an den Haaren gerissen haben soll. „Es tut mir leid, wenn die Mädchen gelitten haben“, so die Lehrerin gegenüber dem Falter. Sie habe immer versucht, das Beste aus ihren Schülerinnen herauszuholen.
Ein früherer Schüler wirft einem einstigen Lehrer sexuelle Belästigung vor. Die Staatsoper hat den Lehrer dienstfrei gestellt und eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft übermittelt.
Von einer „Sklavenmentalität“ spricht Jolantha Seyfried, eine frühere Leiterin der Ballettakademie. „Die Kinder sind hier nur eine Ware, um die Oper zu bespielen.“ Ex-Ballerina Gabriele Haslinger: „Die Eltern glauben, die Kinder in der Akademie in besten Händen zu wissen, aber das stimmt nicht.“ Die ausgeschiedene Tanzlehrerin Sharon Booth beklagt „Erziehungsmethoden aus dem 19. Jahrhundert“.
Staatsoperndirektor Meyer will eine lückenlose Aufklärung.
Staatsoper will Aufklärung und setzt Maßnahmen
„Ich bin sehr betroffen“, sagt Operndirektor Dominique Meyer. Er will jetzt „lückenlose Aufklärung“. Schon vor zwei Jahren sei die im Zentrum der Vorwürfe stehende Ballettlehrerin verwarnt worden, später dann gekündigt, so Meyer in der ZiB2. „Ich mache mir selber Vorwürfe, dass ich das vielleicht schneller hätte machen müssen.“ Die jetzige Direktorin der Akademie, Simona Noja, wird von Meyer verteidigt – sie habe auf Beschwerden reagiert.
Neben der Aufklärung der Vorfälle setzt die Oper Maßnahmen. So wird etwa eine Ombudsstelle eingerichtet und das Fach Body Awareness wird verpflichtend eingeführt.
Kulturminister Blümel: "Ein solches Verhalten ist absolut inakzeptabel"
Blümel will Sonderkommission einrichten
Angesichts des Vorwurfs schwerer Missstände in der Ballettakademie der Staatsoper hat Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) die Bundestheater-Holding mit der Einrichtung einer Sonderkommission beauftragt. „Ein Verhalten, wie das in den Vorwürfen angeprangerte, ist vollkommen inakzeptabel“, sagte Blümel am Dienstagabend.
Umfassender Bericht
soll vorgelegt werden
Sobald er von den Vorwürfen erfahren habe, habe er Holding-Geschäftsführer Christian Kircher mit der Einrichtung des Gremiums beauftragt, welches die Vorwürfe restlos klären soll, so Blümel: „Holding-Chef Christian Kircher wird einen umfassenden Bericht inklusive aller getroffenen Maßnahmen, um so etwas auch in Zukunft zu verhindern, vorlegen.“
Die Staatsoper ihrerseits hat bereits eine Lehrerin entlassen, ein weiterer Lehrer wurde bis zur Klärung der Vorwürfe gegen ihn dienstfrei gestellt. Außerdem sind eine Vielzahl an Reform-Maßnahmen jetzt in Umsetzung.
Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet
Nach dem Bekanntwerden der schweren Missstände in der Ballettakademie der Wiener Staatsoper hat das Opernhaus selbst eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien geschickt. Diese langte am Mittwoch bei der Behörde ein, die Ermittlungen wurden eingeleitet, sagte die Sprecherin der Anklagebehörde, Caroline Pestal-Czedik-Eysenberg, der APA.
Zunächst werde wegen Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses und sexueller Belästigung ermittelt. Es muss aber noch geprüft werden, ob dies ausgeweitet wird, beispielsweise auf Körperverletzung. Noch stehe man ganz am Anfang der Ermittlungen, sagte Pestal-Czedik-Eysenberg.
Direktorin Noja: "Wir haben zu spät reagiert"
In voller Personenstärke haben am Mittwoch die Spitzen von Wiener Staatsoper und Bundestheater-Holding Stellung zu den via "Falter" bekannt gewordenen Missständen in der Ballettakademie des Hauses genommen. "Wir haben zu spät reagiert, zu lange gewartet", zeigte sich Simona Noja, geschäftsführende Direktorin der Ballettakademie, zur Frage der Entlassung der betreffenden Lehrerin selbstkritisch.
Diese habe aber eben auch sehr gute Arbeit gemacht und viele Schüler gehabt, die gut über sie sprächen. "Bei mir ist immer die Tür offen", unterstrich Noja, die seit Mitte März die ehemalige Klasse der entlassenen Lehrerin selbst unterrichtet, ihr Interesse an Aufklärung in dieser Causa. "Die ganze Sache trifft mich sehr", stellte Staatsoperndirektor Dominique Meyer klar: "Es sind Dinge geschehen, die inakzeptabel sind. Wir wollen eine lückenlose Aufklärung von allem", unterstrich Meyer zugleich, der auf zahlreiche getroffene Maßnahmen verwies.
Er sehe drei Hauptprobleme in der Causa: "Eine Gruppe von Studierenden wurde schlecht behandelt von einer Lehrerin." Es handle sich um die 8. Klasse der Mädchen, die also zwischen 17 und 18 Jahren alt seien. Die betroffene Lehrerin sei zunächst mündlich und nach der erneuten Verschlechterung des Verhaltens schriftlich verwarnt und schließlich entlassen worden. "Ich stelle mir die Frage, ob ich das nicht hätte früher machen sollen", so Meyer: "Das sind Sachen, die vor 30 oder 40 Jahren wahrscheinlich Standard waren. In der heutigen Zeit ist das ein No-Go." Er sei jedenfalls wütend auf die Lehrerin: "Ihr Benehmen wirft einen Schleier auf meine Arbeit hier im Bereich des Balletts."
Als zweiten Punkt gibt es den Vorwurf der sexuellen Belästigung eines Schülers durch einen Lehrer, die vor sechs Jahren geschehen sein soll. Hiervon habe man vor der "Falter"-Recherche keine Kenntnis gehabt, so Meyer. Man habe den Lehrer - der die Vorwürfe abstreitet - sofort dienst freigestellt. Zumindest habe der Lehrer bestätigt, dass man sich privat getroffen habe. "Ich finde es nicht akzeptabel, dass Lehrer die Schüler in ihrer eigenen Wohnung empfangen", machte Meyer deutlich. Man habe eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft geschickt: "Nun ist die Justiz am Zug."
Zugleich gelte aber auch: "Ich will die Lehrer nicht unter Generalverdacht stellen, weil zwei von ihnen Fehler gemacht haben." Er sei gegen überstürzte Personalentscheidungen. "Ich weiß, dass man gerne Köpfe rollen sehen will. Aber wir wollen die Dinge bearbeiten und uns auf Fakten beziehen", betonte Meyer. Klar sei: "Wir haben die Pflicht, die Schüler zu schützen. Ich akzeptiere nicht, dass Kinder in dieser Schule leiden müssen."
Als dritter Punkt in diesem Zusammenhang gehe es um die Frage der Ernährung und des Körperbildes, das den Kindern vermittelt werde. Die sei eine schwierige Frage. Als Reaktion werde es nun sowohl für die Lehrer wie die Schüler obligatorische Schulungen in Ernährungskunde geben. "Wir arbeiten seit Monaten sehr gut und offen mit der Jugendanwaltschaft an einem Kinderschutzkonzept", umriss Meyer weitere Maßnahmen. Ab Ostern wird deshalb eine Psychologin für die Kinder zur Verfügung stehen. Überdies gebe es bereits als Ombudsstelle die Möglichkeit einer anonymen Hotline, die man mit dem Verein "Möwe" initiiert habe.
Lob für das transparente und sachliche Vorgehen kam von Bundestheater-Holdingchef Christian Kircher. Er habe von den konkreten Vorwürfe in der Vorwoche erfahren: "Der Sachverhalt passt nicht zum Ansehen einer Institution mit Weltruf." Er untermauerte sein Credo in dieser Frage: "Null Toleranz." Das gelte für alle Häuser der Holding: "Wir sagen oft, die Bundestheater-Holding ist der größte Theaterkonzern der Welt. Es ist noch ein großer Schritt dahin, dass es auch der modernste und beste wird." Zur durch Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) angekündigten Sonderkommission könne er derzeit noch nicht viel sagen, habe er doch heute sein erstes Gespräch im Ministerium. Er nehme die Verantwortung und das damit verbundene Vertrauen aber ernst: "Ich danke dem Minister, dass er die Holding damit beauftragt hat."