Lebenslange Haft

Ehrenmord: 'Habe Straftat wegen der Kultur begangen'

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"Familienehre beschmutzt": Vor Gericht schildert Mörder, wie er Schwester tötete.

Bakhti S., eine 14-jährige Afghanin, hatte keine Chance. Sie wurde am 18. September des Vorjahres mit 28 Messerstichen im Innenhof eines Wohnhauses in der Puchsbaumgasse (Favoriten) von ihrem älteren Bruder hingerichtet. Ein Ehrenmord. Weil das Mädchen leben wollte wie wir. Bei dem Prozess am Mittwoch am Straflandesgericht musste sich nun Hikmatullah S. (22) verantworten.

Bewacht. In Handschellen wird der Angeklagte von Justizwachen in den Saal 203 geführt. Gebückt und mit dem Gesicht nach unten nimmt er auf der Anklagebank Platz. Ebenfalls im prall gefüllten Schwurgerichtssaal: sein jüngerer Bruder und seine Mutter. Sie sitzt in der vorletzten Reihe, trägt Kopftuch und Sonnenbrille, verhüllt mit einer Zeitung ihr Gesicht.

„Ich gestehe.“ Dann ist Hikmatullah S. am Wort. Er gibt die Bluttat, offenbar auf Anraten seines Anwalts Nikolaus Rast, zu: „Ich gestehe“, sagt er. Viel mehr will der 22-Jährige, der 2013 mit seiner Familie nach Österreich kam, nicht sagen. Außer: „Ich möchte um Verzeihung bitten. Ich habe die Straftat wegen der Kultur begangen“, so der 22-Jährige zu einer Dolmetscherin.

Laut Staatsanwaltschaft hat der Angeklagte Bakhti S. in der U-Bahn-Station Reumannplatz aufgelauert. Er lockte sie zu einem Gespräch in einen Innenhof und stach dort mit einem 20 Zentimeter langen Kampfmesser zu. Weil sie „die Familienehre beschmutzt hat“ (siehe rechts).

Blutrausch. „Mit großer Wucht und großer Energie“, wie Gerichtsmediziner Christian Reiter anmerkt: „Vermutlich auch noch, als die junge Frau bereits am Boden lag.“

Das Urteil der Geschworenen fällt einstimmig aus: lebenslang. „Mit dieser Tat haben Sie sich außerhalb der Gesellschaft gestellt. Dafür kann es nur die Höchststrafe geben“, so Richter Stefan Apostol. Das Motiv wurzle „in einem verschrobenen Ehrgefühl“. Verteidiger Rast meldet Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, es gilt die Unschuldsvermutung.

Verteidiger forderte Verhandlung vor Jugendstrafgericht – abgeblitzt

Zu Prozessbeginn drehte sich alles um das Alter des Angeklagten, der angab, 19 Jahre alt zu sein. Ein Gutachten des Anthropologen Fabian Kanz widerlegte die Aussagen des Afghanen jedoch: „Der Beschuldigte war zur Tatzeit zumindest 21 Jahre und drei Monate alt.“ Damit war er als Erwachsener zu betrachten. Verteidiger Rast akzeptierte das Gutachten nicht und beantragte den Abbruch der Verhandlung. Sein Mandant sei 19 Jahre, und daher sei Jugendstrafrecht anzuwenden. Die Berufsrichter lehnten dies jedoch ab. 

Bakhti wollte ›westlich‹ leben – ihr Todesurteil

Bakhti S. kam 2013 nach Österreich. Sie ging hier zur Schule, wollte ­leben wie ihre Freundinnen. Ihre Familie sah das anders: Sie musste Kopftuch tragen, durfte keine Freundinnen haben, sollte, wie ihre Schwestern, eine Zwangsehe eingehen. Das wollte sie nicht. Sie ging auf Distanz zu ihrer Familie, die ihr sogar vorschrieb, dass sie nicht ohne Begleitung außer Haus gehen darf.

Bakhti S. widersetzte sich. Immer wieder kam es zu Schlägen durch ihren Vater. Er drohte mit einer Zwangsehe in ihrer Heimat. Im Juli 2017 flüchtete sie in ein Krisenzentrum nach Graz und erstattete bei der Polizei Anzeige. Aber: Sie ließ sich zur Rückkehr zur Familie überreden. Ihre Aussagen gegen Vater und Bruder wollte sie in Wien nicht mehr wiederholen. Der Justiz waren somit die Hände gebunden.

Vier Tage vor ihrem Tod flüchtete Bakhti S. aus Angst vor ihrer Familie erneut in ein Krisenzentrum. Denn sie wollte nur eines: nach westlichem Vorbild und ohne Zwänge leben – ihr ­Todesurteil, da sie dadurch abermals die „Familienehre“ beschmutzte.

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