Ein pensionierter Anwalt hat am Mittwoch am Wiener Landesgericht bei seiner Verhandlung wegen Nötigung, Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt für gehörigen Wirbel gesorgt.
Nach kurzer Zeit wurde der 68-Jährige wegen wiederholtem ungebührlichem Verhalten vom Verfahren ausgeschlossen. Am Ende verurteilte Richter Markus Müller den Juristen im Sinn der Anklage zu einem Jahr Haft, wobei die Strafe bedingt nachgesehen wurde. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Die Verhandlung begann mit erheblicher Verspätung, weil der in U-Haft befindliche Angeklagte von der Justizwache nicht zeitgerecht vorgeführt werden konnte. Als sich der Richter telefonisch bei der Justizanstalt Josefstadt nach dem Verbleib des 68-Jährigen erkundigte, hieß es, dieser benötige "noch 20 Minuten, um sich fesch zu machen". Im Gerichtssaal polterte der Angeklagte dann sogleich in Richtung einer jungen Medienvertreterin, die ihn fotografieren wollte ("Wer sind Sie? Ich verbiete Ihnen zu berichten!"), bezeichnete seinen Rechtsvertreter als "unfähigen Anwalt" und erklärte sich selbst für nicht verhandlungsfähig: "Ich habe eine massive Anpassungsstörung infolge der Haft. Ich wurde zu Unrecht festgenommen." Die einführenden rechtlichen Erläuterungen des Richters unterbrach der Angeklagte mehrfach: "Ich verstehe Sie nicht, Herr Rat! Mir ist mein Hörgerät gestohlen worden."
Drei Strafanträge verhandelt
Verhandelt wurden drei Strafanträge. Zwei bezogen sich auf Vorfälle in den Kanzleien der Erwachsenenvertreter des ehemaligen Rechtsanwalts. Diese bekam der Jurist beigestellt, weil die Behörden zur Überzeugung gelangt waren, dass er aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung nicht mehr in der Lage ist, seine rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten alleine zu besorgen. Seither taucht der 68-Jährige regelmäßig bei seinen beiden Erwachsenenvertretern auf und verlangt Akteneinsicht in Akten, die es nicht gibt, oder die Auszahlung von Geld, das er bereits erhalten hat. Am 22. Jänner 2021 war er mit Gewalt in die Kanzlei des einen Vertreters gelangt, indem er die Tür gegen den Widerstand einer Sekretärin aufdrückte, die ihn nicht in die Räumlichkeiten lassen wollte. Vor der Kanzlei des anderen Vertreters rangelte er am 20. Dezember 2021 mit einer Angestellten, die ihm den Weg Richtung Büro versperrte. "Da ist er aggressiv geworden. Er hat uns beschimpft, er hat uns die ganze Zeit gefilmt", schilderte die Frau. Am Ende habe der wütende Mann ihren Arm gegen ein gusseisernes Tor geschlagen, wobei sie sich Zerrungen an der Schulter und am Handgelenk zugezogen habe, was einen mehrtägigen Krankenstand zur Folge hatte. Diese beiden Anklagepunkte wurden im Urteil als Nötigung bzw. Nötigung und Körperverletzung qualifiziert.
Am 5. Februar 2023 kam es in St. Pölten zu einem Polizeieinsatz, nachdem der Ex-Anwalt zum wiederholten Male im Rathaus erschienen war. Er verlangte Akteneinsicht beim Magistrat und wollte zum Bürgermeister vorgelassen werden. Magistratsbedienstete verständigten die Polizei, wobei Beamte den 68-Jährigen auf eine Polizeiinspektion bringen wollten, da er zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben war. Dem widersetzte sich der Jurist insofern, als er einen jungen Beamten angerempelt, mit dem rechten Arm "ausgeschlagen" und den Polizisten im Brustbereich getroffen haben soll, worauf er festgenommen wurde.
Beamte sollen ihn "von hinten angesprungen" haben
"Das ist glatt erfunden. Diese Aktivität hat es nicht gegeben", kommentierte der Angeklagte die polizeilichen Behauptungen. Vielmehr seien ihn die Beamten "von hinten angesprungen" und hätten ihn "niedergemacht. Man hat Angst gehabt, dass ich politisch aktiv bin. Es war ja Wahlkampf in Niederösterreich."
Der Verlauf der Verhandlung und das Verhalten des 68-Jährigen während und nach der Urteilsverkündung, zu der er wieder in den Saal durfte, legten Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit nahe. Während der Richter seine Entscheidung verkündete und begründete, redete der Jurist auf die junge Medienvertreterin ein und schärfte ihr ein, dass eine Berichterstattung verboten sei. Danach bescheinigte er seinem Rechtsbeistand noch ein Mal "Unfähigkeit" und dem Richter, eine "glatt rechtswidrige Verhandlung" geführt zu haben. Gegen das Urteil legte der pensionierte Anwalt "Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung, alles, was geht" ein, ehe er sich mit "Also, auf Wiederschauen" verabschiedete.
Psychiatrisches Gutachten eingeholt
Die Justiz hatte im Vorfeld die Schuldfähigkeit des Angeklagten mit der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens klären lassen. Der Sachverständige, der bei der Verhandlung nicht zugegen war, kam zum Schluss, dass beim 68-Jährigen zu sämtlichen Tatzeitpunkten Zurechnungsfähigkeit gegeben war. Lediglich die Dispositionsfähigkeit sei "ein wenig herabgesetzt". Der Jurist wurde unmittelbar nach der Verhandlung aus der U-Haft entlassen.