32-jähriger Tschetschene stellte nicht in Abrede, gegen russische Besatzer vorgegangen zu sein.
Wien. Ein 32-jähriger Tschetschene ist am Donnerstag am Wiener Landesgericht zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, weil er sich von 2010 bis 2013 in seiner Heimat als Kämpfer für die radikalislamistische Terrorgruppe "Emirat Kaukasus" betätigt hatte und an Feuergefechten mit russischen Soldaten beteiligt war. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Der Angeklagte wurde wegen terroristischer Vereinigung und versuchten Mordes als terroristische Straftat schuldig erkannt. Von der ebenfalls inkriminierten Ausbildung für terroristische Zwecke wurde er freigesprochen. Verteidiger Wolfgang Blaschitz meldete gegen die Gerichtsentscheidung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, der Staatsanwalt gab vorerst keine Erklärung ab. Die Urteilsverkündung hatte sich um 30 Minuten verzögert, weil die Dolmetscherin von der Bildfläche verschwunden war und erst telefonisch zurück ins Landesgericht gebeten werden musste.
Der Tschetschene hatte sich im Alter von 20 Jahren der Gruppierung des inzwischen verstorbenen Doku Umarow angeschlossen, der im Nordkaukasus einen Gottesstaat auf Grundlage der Scharia errichten wollte. Mehr als 900 Terror-Anschläge auf russischem Staatsgebiet werden dem "Emirat Kaukasus" zugeschrieben. Der Angeklagte soll unter anderem in einen Angriff auf ein russisches Sonderbataillon an der tschetschenisch-inguschetischen Grenze involviert gewesen sein, bei dem vier Soldaten ums Leben kamen.
32-Jähriger geriet in eine Sprengfalle
Seinen Angaben zufolge geriet der mittlerweile 32-Jährige im September 2013 in eine Sprengfalle. Ein in ein Mobiltelefon eingebauter Sprengsatz zerfetzte ihm die linke Hand und kostete ihn das Augenlicht. Verwandte brachten den Erblindeten in weiterer Folge nach Inguschetien, von wo er nach Österreich geschleppt wurde. Ende Juli 2017 suchte er um Asyl an. Der Antrag wurde erstinstanzlich abgewiesen.
Vor Gericht präsentierte sich der Angeklagte als "Freiheitskämpfer". Er habe in Tschetschenien "lange Zeit beobachtet, wie Menschen entführt und ermordet wurden", gab er zu Protokoll. Die russischen Invasoren wären gegen sein Volk vorgegangen: "Warum können 300.000 Tschetschenen umgebracht werden und davon redet niemand? 40.000 Kinder wurden getötet." Er sei daher mit 20 Jahren "in die Berge gegangen" und habe sich einer Truppe unter dem Oberkommando von Doku Umarow angeschlossen, um die lokale Bevölkerung vor den Besatzern zu schützen: "Ich wusste nicht, dass dieses Emirat ausgerufen wurde. Ich sah nur zwei Seiten. Die Zivilbevölkerung und die russischen Besatzer."
Auf die Frage, ob er auf russische Soldaten geschossen habe, erwiderte der Angeklagte zunächst ausweichend: "Es gab keine zielgerichteten Operationen, an denen ich teilgenommen habe." Später räumte er ein: "Falls es eine Möglichkeit zum Angriff gab, haben wir auch angegriffen." Ob er jemanden umgebracht habe, wollte die Vorsitzende konkret wissen - "Das habe ich nicht gesehen. Ich war immer in einer Kolonne von zehn bis 20 Mann. Meistens in der Mitte oder hinten." In einem Krieg "trägt jeder dazu bei, was er kann", gab der 32-Jährige zu bedenken: "Mein Ziel war es, meine Heimat Tschetschenien zu befreien."
Verteidiger Blaschitz bezeichnete den Angeklagten als "Soldaten"
Verteidiger Blaschitz bezeichnete den Angeklagten als "Soldaten, der im Sinne des Völkerrechts gehandelt hat". Dieser habe sich in einem "Partisanenkrieg" auf "die Seite der Schwachen" gestellt. Dem Mann sei es "um das Selbstbestimmungsrecht seines Volkes und nicht um irgendwelche terroristischen Straftaten" gegangen: "Wir reden von Tschetschenien. Nicht von einem österreichischen Mädchenpensionat. Da ist es anders zur Sache gegangen als wir uns hier in Österreich vorstellen können." Sein Mandant habe "die russischen Invasoren abwehren wollen", betonte Blaschitz. Eine radikalislamistische Gesinnung habe er "zu keinem Zeitpunkt aufgewiesen".
Bei der Strafbemessung wurden dem 32-Jährigen seine bisherige Unbescholtenheit und vor allem sein Beitrag zur Wahrheitsfindung mildernd angerechnet. "Hätte er bei der Polizei nicht so umfangreich ausgesagt, wäre es nie zu einem Verfahren in dieser Form gekommen", stellte die vorsitzende Richterin fest.