Wohn-Glück als Lebensaufgabe: Architekt Harry Glück gestorben
Den geplanten Abriss seines 1980 errichteten städtischen Rechenzentrums ("Glaspalast") musste Harry Glück nicht mehr erleben: Der Architekt, der auf leise, aber bestimmte Weise die Wiener Architektur der Nachkriegszeit mitgeprägt hast, ist gestern, Dienstag, 91-jährig verstorben, wie das Wiener Wohnbauressort der APA bestätigt. Allein um die 18.000 Wohnungen gehen in Wien auf Glücks Konto.
In mehrfacher Hinsicht sticht dabei das Opus Magnum des "Doyen des sozialen Wohnbaus" aus dem übrigen Oeuvre heraus: Der zwischen 1976 und 1985 fertiggestellte Wohnpark Alt Erlaa, der zum viel besprochenen Markenzeichen von Glücks Wohnbauphilosophie wurde. "Bei Bauaufgaben wie dem Rechenzentrum oder der Allianz-Generaldirektion wäre jeder zu ähnlichen Lösungen gekommen. Bei einem Wohnbau bin ich mir nicht sicher. Zumindest hat niemand etwas Ähnliches gebaut oder auch nur versucht", zeigte sich der Jubilar anlässlich seines 90ers im Vorjahr gegenüber der APA stolz auf sein Werk.
Die Zufriedenheit der Bewohner der 3.100 Einheiten in den Wohntürmen von Alt Erlaa ist auch durch sozialwissenschaftliche Studien belegt. Nicht nur die Schwimmbäder am Dach, sondern auch viele Kommunikations- und Freizeiträume sowie Grün, das nicht nur als Alibi-Behübschungsfläche zwischen Betonblöcken dient, sind dafür verantwortlich. Terrassenartig stapelt sich in Alt Erlaa der eigene Grünraum bis in die Höhe der zwölfte Etage. Die grundsätzlichen Eckdaten fürs Wohn-Glück seien von der Evolution vorgegeben und hätten sich seit Hunderttausenden Jahren kaum geändert, meinte der Architekt einst, dessen erster mehrgeschoßiger Wohnbau 1962 bezogen wurde und zu dessen letzten Arbeiten die Wohnbauten in der Altmannsdorfer Straße und am Altmannsdorfer Dreieck gehören.
Dabei schien der Lebensweg Harry Glück zunächst in eine andere Richtung als die Architektur zu lenken. Geboren wurde er am 20. Februar 1925 in Wien als einziges Kind eines Bankbeamten und einer Schneiderin. Noch während der Schulzeit wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, nach dem Krieg studierte er zunächst Bühnenbild und Regie am Max-Reinhardt-Seminar, ehe er für ein Architekturstudium an die Technische Hochschule Wien wechselte. Während des Studiums arbeitete er als Kulissenmaler in den Wiener Rosenhügel-Studios sowie als Bühnenbildner, wo er etwa das Motorrad für Helmut Qualtingers Kabarettprogramm "Der Wüde auf seiner Maschin" schnitzte.
Seine ersten Arbeiten als angehender Architekt führten ihn mit einem ganz Großen zusammen: Einige Monate lang arbeitete er im Architekturbüro von Josef Hoffmann auf der Kärntner Straße. 1966 eröffnete Harry Glück dann sein eigenes Büro, das als "Harry Glück und Partner" Anfang der 1980er-Jahre zum Großbüro mit über 100 Mitarbeitern avancierte.
Dass er den Wohnbau als seine eigene Lebensaufgabe entdeckt habe und auch eine beneidenswert gute Auftragslage hatte, sei eigentlich auf einen Zufall zurückzuführen, stapelt der Architekt im APA-Gespräch einst tief: Er habe für eine Bekannte ihre gänzlich verbaute Genossenschaftswohnung mit Maßmöbeln eingerichtet. In der Folge habe es sich herumgesprochen, dass er der Überzeugung war, Wohnungen mit brauchbareren Grundrissen zeichnen zu können. Im Auftrag des Sekretärs des damaligen Sozialministers Anton Proksch durfte er unter Beweis stellen, dass er es tatsächlich besser konnte. Das war seine Eintrittskarte in den geförderten Wohnbau in Niederösterreich.
Seine Dissertation (1982) trug den Titel "Höherwertige Alternativen im Massenwohnbau durch wirtschaftliche Planungs- und Konstruktionskonzepte", ein drei Jahre später mit Irenäus Eibl-Eibelsfeld, Hans Hass und anderen veröffentlichtes Buch hieß "Stadt und Lebensqualität" (1985). Zu seinen Bauten zählen auch der Heinz-Nittel-Hof in Floridsdorf (1983), Terrassenhäuser an der Inzersdorfer Straße (1974), Reihenhäuser in der Großfeldsiedlung (1974-76), der Franz-Josefs-Bahnhof (1980, gemeinsam mit Karl Schwanzer, Kurt Hlaweniczka, Franz Requat und Thomas Reinthaler), das Hotel Marriott (1986, mit Peter Czernin) oder der Bürokomplex Lassallestraße (1988/91, mit Wilhelm Holzbauer, Kurt Hlaweniczka, Hannes Lintl und Georg Lippert).
Egal schien Glück dabei stets zu sein, dass er mit seiner pragmatischen Entwurfshaltung in Opposition zu jenen Stararchitekten stand, die auf große Geste und prägnante Formen setzten. Werke wie Jörn Utzons Oper in Sydney oder Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao interessierten den Pragmatiker nicht. Gewürdigt wurde sein Lebenswerk aber auch so, darunter erst im Vorjahr mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien und dem Ehrendoktorat der Technischen Universität Wien. Und nicht zuletzt setzte Reinhard Seiss dem Wohnbaukünstler mit seinem 2015 erschienen Buch "Harry Glück. Wohnbauten" auch ein literarisches Denkmal.
Angesichts der Todesnachricht zollte Wiens Planungsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) Glück ihren Respekt: "Mit Harry Glück ist einer der größten und prägendsten Wiener Architekten von uns gegangen." Der Architekt sei Zeit seines Lebens ein brillanter Geist, ein Mentor und jemand, der seinen Erfahrungsschatz mit Generationen jüngerer Stadtplaner teilte, geblieben: "Mir war er seit nun 20 Jahren ein lieber Freund. Ich werde ihn sehr vermissen."