Kanzler im großen Interview

Kurz: "Mein Reform-Plan für Europa"

Teilen

Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärt seine EU-Reformpläne.

ÖSTERREICH: Herr Bundeskanzler, Sie greifen im Wahlkampf-Finish selbst mit über 50 Auftritten in den EU-Wahlkampf ein. Führen Sie den EU-Wahlkampf persönlich, weil Othmar Karas zu schwach ist?

Sebastian Kurz: Das war immer so geplant. Ich werde in allen Ländern unterwegs sein und um Unterstützung werben, weil die Unterstützung der Bevölkerung bei dieser EU-Wahl für mich sehr entscheidend ist: Denn das Gewicht, das ich in Europa habe, um unsere Ideen für eine EU-Reform durchzusetzen, wird stark davon abhängen, wie viel Unterstützung  wir bei dieser EU-Wahl erhalten.

ÖSTERREICH: Es gibt ja viele, die meinen, Ihr Spitzenkandidat Karas vertritt bei dieser EU-Wahl eine ganz andere Linie als Sie.

Kurz: Und da muss man einmal klar sagen: Das stimmt so nicht. Othmar Karas unterstützt genauso wie alle anderen Kandidatinnen und Kandidaten auf unserer Liste meine Reformvorschläge für die EU. Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen neuen Vertrag für die EU braucht, der mehr Ordnung und vor allem auch mehr Hausverstand sicherstellt. Und dafür kämpfen wir als gesamtes Team der Volkspartei.

ÖSTERREICH: Was soll neu werden an der Europäischen Union?

Kurz: Wir wollen, dass es klarere und auch viel härtere Sanktionen gibt für alle, die die EU gefährden, indem sie ihre Staaten überschulden, Migranten nicht an der Außengrenze stoppen, sondern weiterwinken nach Europa – und indem sie an Demokratie und Rechtsstaat rütteln.

ÖSTERREICH: Und wie sehen diese härteren Sanktionen aus?

Kurz: Das kann bei finanziellen Strafen beginnen, etwa bei Kürzung der Förderungen, aber bei gröberen Verstößen bis hin zum Entzug der Stimmrechte führen. Das soll neu geregelt werden. Stellen Sie sich vor: Wenn sich ein Land wie Italien dramatisch überschuldet, dann löst das nicht nur eine überschaubare Krise aus wie wir sie bei Griechenland erlebt haben, sondern dann kann das den ganzen Euro in Gefahr bringen. Und das muss auf jeden Fall verhindert werden.

ÖSTERREICH: Sie wissen aber schon, dass Ihr Koalitionspartner FPÖ diese Schuldenpolitik von Salvini in Italien unterstützt?

Kurz: In Österreich haben wir die jahrzehntelange Schuldenpolitik beendet und gleichzeitig die Steuern gesenkt. Auf EU-Ebene ist diese EU-Wahl der richtige Zeitpunkt, um mit seiner Stimme ein Votum abzugeben, dass wir Überschuldung, Hereinwinken von illegalen Immigranten und Bruch der Rechtsstaatlichkeit als Österreicher nicht wollen.

ÖSTERREICH: Dass Ihr Koalitionspartner, die FPÖ, mit all jenen, die die Rechtsstaatlichkeit in Europa brechen – zum Beispiel mit Orbán – in einer Allianz ist, das stört Sie?

Kurz: Ich bin für ein Europa der Vielfalt mit unterschiedlichen Zugängen in Fachfragen – aber beim Thema Demokratie, Rechtsstaatlichkeit darf es in der EU keine Kompromisse geben. Da müssen sich alle an die gleichen Spielregeln halten.

ÖSTERREICH: Was wollen Sie noch reformieren am EU-Vertrag von Lissabon, der zehn Jahre alt ist?

Kurz: Mir ist wichtig, dass es endlich mehr Hausverstand in der EU gibt. Allein die Tatsache, dass wir zwei Parlamentssitze haben und alle Abgeordneten jeden Monat zwischen Brüssel und Straßburg übersiedeln, kostet Unsummen und ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Das gehört abgestellt. Genauso muss die Kommission verkleinert werden. Kein Land der Welt, nicht einmal die USA, würde sich heute eine Regierung mit 28 Ministern leisten. Die EU muss sparsamer werden – weniger Bürokratie, auch weniger Regulierung – Fokus auf die wesentlichen Sachen. Zudem setze ich mich dafür ein, dass 1.000 EU-Richtlinien oder Verordnungen gestrichen werden bzw. die Kompetenzen an die Länder zurückgegeben werden im Sinne eines subsidiären Europas. Die Schnitzel-Pommes-Verordnung ist das beste Beispiel, wie unnötig sich die EU manchmal einmischt und die Bevölkerung bevormundet. Dieser Regulierungswahnsinn muss beendet werden.

ÖSTERREICH: Wenn Sie die Kommission auf die Hälfte – also 14 – reduzieren, verliert Österreich wahrscheinlich seinen Kommissar.

Kurz: Darum geht es nicht. Ich will ein Rotationsprinzip, bei dem alle Länder weiter gleichberechtigt sind – etwa indem sie alle zwei Jahre oder auch bei jeder zweiten Wahl einen Kommissar besetzen. Die Kommission muss kleiner werden, damit sie handlungsfähiger wird.

ÖSTERREICH: Sind Sie auch für eine sparsamere EU, weil Österreich sonst nach dem Austritt der Briten viel mehr zahlen muss?

Kurz: Wir treten als Nettozahler gemeinsam dafür ein, dass der Umgang mit Steuergeld ein sparsamer wird – und da sind wir gerade mitten in den Verhandlungen. Wenn das Geld für Forschung, Innovation, Entwicklung verwendet wird, ist das gut. Wenn das Geld aber in Bürokratie und Verwaltung fließt, gibt es von uns keine Zustimmung.

ÖSTERREICH: Sieht Ihre EU-Reform auch einen neuen, besseren Außengrenzschutz vor?

Kurz: Dafür kämpfe ich seit Langem. Denn nur wenn es ein Europa mit funktionierenden, geschlossenen Außengrenzen gibt, kann es ein Europa mit offenen Grenzen nach innen geben. Diesen Zustand müssen wir möglichst schnell erreichen.

ÖSTERREICH: Die Innenminister sagen, das wird bis 2027 dauern.

Kurz: Das muss viel schneller ­gehen. Ich will, dass der Außengrenzschutz gemeinsam organisiert wird – und zwar indem einzelne Staaten so schnell wie möglich Polizisten und Soldaten zur Verfügung stellen, die das leisten. Und ich will, dass das Mandat noch ausgeweitet wird und die Grenzschützer auch die Möglichkeit haben, gemeinsam mit Drittstaaten den Kampf gegen die Schlepper bereits an der nordafrikanischen Küste führen, damit diese Schlepperboote gar nicht erst Richtung Europa ab­legen können.

ÖSTERREICH: Es gibt im Wahlkampf eine klare Polarisierung: Neos und Grüne sind für Vereinigte Staaten von Europa und eine Republik Europa, die FPÖ ist für weniger Europa. Ich habe noch nicht verstanden, wofür die ÖVP steht.

Kurz: Unser Zugang ist einer der Vernunft und der politischen Mitte, nicht der Extreme: ein Europa der Subsidiarität. Verstärkte Zusammenarbeit in großen Fragen, etwa eine gemeinsame Außenpolitik, Außengrenzschutz, Währungsunion oder Wettbewerbsfähigkeit. Aber gleichzeitig eine EU, die sich zurücknimmt in Fragen, die Mitgliedsstaaten oder Regionen selbst besser regeln – also weniger Europa dort, wo wir selbst entscheiden können und wollen.

ÖSTERREICH: Vereinigte Staaten von Europa sind eine gute Idee?

Kurz: Nein, das ist eine schlechte Idee. Ich bin für starke Mitglieds-staaten in einer gemeinsamen EU, wo nicht alles zentral läuft.

ÖSTERREICH: Also auch keine Republik Europa?

Kurz: Ich will eine Republik Österreich, aber mehr Zusammenarbeit etwa in der Außenpolitik.

ÖSTERREICH: Soll es eine gemeinsame EU-Armee geben?

Kurz: Sicher nicht. Ich möchte eine stärkere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik, etwa gemeinsamen Einkauf, da kann man Milliarden sparen, auch mehr Kooperation im Kampf gegen Terror und Cyber-Attacken – aber unser Bundesheer soll erhalten bleiben, wir haben gerade gesehen, wie wichtig es etwa beim Katastrophenschutz ist.

ÖSTERREICH: Soll es künftig nur mehr einen EU-Pass geben?

Kurz: Der österreichische Pass wird und soll bleiben.

ÖSTERREICH: Die FPÖ wird immer engagierter Teil der Rechtsaußen-Fraktion in der EU mit Orbán, Le Pen und sogar der AfD – wird das nicht die Koalition schwer belasten, wenn die FPÖ jetzt mit den Europa-Feinden eine gemeinsame Fraktion im EU-Parlament bildet?

Kurz: Dass die FPÖ Teil der Rechtsaußen-Fraktion im EU-Parlament ist, war immer so und wird wohl so bleiben. Alles andere hätte mich überrascht. Das Gute ist, dass die Wähler entscheiden können, welchen Europa-Kurs sie wollen – den riskanten der Rechtsaußen- oder auch Linksaußen-Parteien – oder einen sicheren Weg der Mitte. Mein Kurs ist der Weg der Mitte – Veränderung der EU, aber mit Hausverstand.

ÖSTERREICH: Aber können Sie auf Dauer mit jemanden in einer Koalition bleiben, der in einer europafeindlichen Allianz ist?

Kurz: Das war doch bisher auch schon so. Aber was Österreich und seine Regierung betrifft, gilt unser Koalitionsabkommen – und das ist ganz klar proeuropäisch. Da hat es in mehr als einem Jahr Regierungszeit kein einziges Problem gegeben. Im Gegenteil: Wir haben eine sehr gute EU-Präsidentschaft hingelegt.

ÖSTERREICH: Und dass dieser Wahlkampf die Regierung spaltet, fürchten Sie nicht? Immerhin mussten Sie ja den Koalitionspartner sogar ermahnen.

Kurz: Dieser Wahlkampf ist gut, weil sich jeder ein Bild machen kann, wer in Österreich die Politik der Mitte vertritt – und wer die Politik der Mitte will, kann seine Entscheidung nur für die ÖVP treffen. 
Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.