"Offengelegt"

Auszüge aus der Schüssel-Bio Teil 1

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Die interessantesten Stellen aus dem Buch des ehemaligen schwarzen Bundeskanzlers im Vorabdruck.

1995: Schüssel wird überraschend Parteiobmann
Die ÖVP steckt in der Krise, sucht einen neuen Parteiobmann. Wolfgang Schüssel, damals Wirtschaftsminister, fliegt von einer Chinareise nach Hause und hat sich schon darauf eingestellt, der Politik Adieu zu sagen:

Er schläft im Flugzeug ein. Normalerweise liest er auf seinen Langstreckenflügen, (…), oder zeichnet Bilderbücher für seine Kinder. Diesmal sinkt er in den Schlaf und träumt Überraschendes: Er ist der neue ÖVP-Obmann und hält auf dem Parteitag seine Antrittsrede. So ein Unsinn, denkt er beim Aufwachen. Fünf Tage später wird Schüssel einzelne Passagen der geträumten Rede tatsächlich halten. Auf einem Parteitag. Und als künftiger Bundesparteichef der Volkspartei.

Frostiges Verhältnis zu Franz Vranitzky
Am 22. April 1995 wird Schüssel zum 12. ÖVP-Bundesparteiobmann gewählt, wenige Tage später als Vizekanzler angelobt: Das Verhältnis von Bundeskanzler Franz Vranitzky zu Schüssel ist korrekt, aber kühl. Der ÖVP-Chef, der ein ausgesprochener Teammensch ist, reagiert enttäuscht, tröstet sich dann aber mit der Erkenntnis, dass Vranitzky zu den eigenen Leuten auch nicht herzlicher ist. Schüssels Vorgänger Erhard Busek hatte er gar als „Stuhl neben mir“ tituliert. Vranitzky ist nun einmal ein nüchterner und distanzierter Mensch. Ein privates Treffen gibt es nie.

Der SPÖ-Vorsitzende hat mit einem Minus von 7,9 Prozentpunkten ebenfalls eine äußerst unerfreuliche Nationalratswahl hinter sich und ist seither schwer angeschlagen – so wie die gesamte Koalition. (...) Doch während sich die ÖVP eine neue Führung gibt, bleibt Vranitzky als Kanzler und SPÖ-Chef im Amt. Ein großer Reformer und Visionär war er nie. Nun kann er sich gegen die beharrenden Kräfte in der Gewerkschaft gar nicht mehr durchsetzen. Die Reformkraft der Sozialdemokratie ist erlahmt. (…) Das Klima in der Koalition wird immer schlechter. In der Nacht von 11. auf 12. Oktober scheitert die allerletzte Verhandlungsrunde (Anm. d. Red.: Budgetsanierung). (…) Aber in den Morgenstunden ist klar: Die Große Koalition ist zehn Monate nach ihrer Neuauflage am Ende. Am 17. Dezember 1995 (…) muss neu gewählt werden.

1997: Nationalratswahl für Schüssel Enttäuschung
Das Wahlergebnis am 17. 12. 1995 ist ernüchternd: Die ÖVP hat nur ein Mandat dazugewonnen, die SPÖ dank des Pensionsbriefes sechs. Ein Jahr später, nach den desaströsen Wiener Landtagswahlen, wo Haider die Wiener SPÖ auf unter 40 Prozent drückt, dankt Vranitzky ab. Der Vorwurf lautet: Vranitzky habe der Wiener SPÖ mit dem Sparkurs, den er sich von Schüssel habe einreden lassen, den Wahlsieg vermasselt. Damit sind die Tage des Kanzlers gezählt. Längst gilt Finanzminister Viktor Klima in der SPÖ als der kommende Mann.

Parteichef Wolfgang Schüssel baut die ÖVP um
Fest im Sattel sitzt seit der EU-Wahl (Anmerkung der Red.: Ursula Stenzel gewinnt für die ÖVP) hingegen Wolfgang Schüssel. Er hat gezeigt, dass er – und zwar praktisch im Alleingang – für die ÖVP Wahlen gewinnen kann. (…) Ab sofort und bis zum Ende seiner Obmanntage gibt es nie wieder eine Führungsdebatte in der Volkspartei. (…) Zum einen hat Schüssel nach der Übernahme des Parteivorsitzes kurzerhand die ÖVP-Dreikönigstreffen abgeschafft, die von den Selbstdarstellern in der Partei immer für Personaldebatten benutzt worden waren. (…) Und zum anderen pflegt er einen überaus kooperativen Führungsstil. (…) Was im Klartext heißt: Schüssel telefoniert und telefoniert und telefoniert. Die Entscheidungsträger in der Partei werden von ihm in jeder wichtigen Frage konsultiert und oft drei Mal pro Woche angerufen. (…) Da er im Gespräch sehr überzeugend zu wirken vermag, hat er fortan kein Problem, die Partei in seinem Sinne zu lenken. Er hat im Vorfeld mit allen Sitzungsteilnehmern geredet und weiß schon zu Beginn, was am Ende herauskommen wird. Jeder verlässt die Sitzung mit dem beruhigenden Gefühl, dass die gefundene Lösung richtig und ganz in seinem Sinne ist. Erst im Rückblick beschleicht manche der Verdacht, dass eigentlich immer das passiert, was Schüssel wollte.

1997: Vranitzky geht, Klima kommt
Im Jänner 1997 tritt Franz Vranitzky nach zehn Jahren als Bundeskanzler ab und übergibt an Viktor Klima. Schüssel ist nach dem Verlust der Creditanstalt schwer enttäuscht und die Koalition wieder in der Krise.

Die Chemie zwischen Klima und Schüssel stimmt. Die beiden sind schon lange per Du, und so ist die Sache mit der Creditanstalt schnell ausgeredet: Klima versichert, nicht treibende Kraft hinter dem Deal gewesen zu sein, und Schüssel erhält die Zusage, dass Vereinbarungen in der Koalition künftig penibel eingehalten werden.

Doch das freundliche „Klima“ hält nicht lange, die von Schüssel forcierte Pensionsreform verkommt zur Farce. Die Marschrichtung der Gewerkschaft lautet: „Ideal wär’s, wenn sich gar nichts ändert“, wie es Verzetnitsch formuliert. Kanzler Klima hält anfangs mutig dagegen. (…) Speerspitze des Widerstandes ist die Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes. Bei einem Gewerkschaftstag im Oktober kommt es zum Eklat: (…) Als Kanzler Klima ans Rednerpult tritt, empfangen ihn seine eigenen Parteigänger mit Buhrufen und „Aufhören, aufhören“-Sprechchören. Der SPÖ-Vorsitzende wirkt sichtlich getroffen und ist nahe daran, entnervt das Podium zu verlassen. (…) Schüssel versucht, Klima zu trösten und unter die Arme zu greifen. Bei den abschließenden Beratungen (…) bittet Klima den ÖVP-Chef, die Verhandlungen mit Metaller-Chef Rudolf Nürnberger zu übernehmen. Er, so klagt Klima, könne sich nicht mehr durchsetzen.

1999: 3. Platz bei Wahlen und Sondierungsgespräche
Der Wahlkampf 1999 verläuft für Wolfgang Schüssel nicht ideal: Die ÖVP liegt im Sommer nur bei 20 Prozent. Die Landesparteien verlangen von Schüssel, mehr Dramatik in den Wahlkampf zu bringen.

Schüssel greift die Anregung auf und trifft Anfang September (…) eine Festlegung, die für Aufsehen sorgt. „Wir werden“, sagt der ÖVP-Obmann, „unter keinen Umständen an einer Regierung teilnehmen, wenn wir nicht zumindest Zweite sind.“

Bei den Wahlen am 3. Oktober 1999 fährt die ÖVP mit 26,9 Prozent der Stimmen nur den 3. Platz ein und möchte in die Opposition gehen. Keine Regierung ist dadurch möglich. Bundespräsident Thomas Klestil ruft die Sondierungsgespräche ins Leben.

Schon im August 1999, zwei Monate vor der Nationalratswahl, hatte Jörg Haider (…) zwei Ziele vorgegeben: den zweiten Platz zu erringen und den Sprung in die Regierung zu schaffen. (…) Haider tendiert anfangs zu einer Koalition mit den Sozialdemokraten. (…) Außerdem misstraut Haider der ÖVP, während er die SPÖ für paktfähig hält. (…) Der rechte Parteiflügel um Kanzler Viktor Klima und Innenminister Karl Schlögl zeigt sich zwar interessiert, der linke Flügel unter der Führung von Nationalratspräsident Heinz Fischer lässt ein Ende der Ausgrenzungsstrategie gegenüber Haider nicht zu.

Die Sondierungsgespräche zwischen den Verhandlungsteams der ÖVP und FPÖ werden hingegen mit großer Ernsthaftigkeit geführt. (…) Schon zuvor hatte Haider durchblicken lassen, dass er der ÖVP in einer solchen Regierungskoalition den Kanzlersessel überlassen würde. Als Überbringer dieser Botschaft fungiert Umweltminister Martin Bartenstein, der mit Haider befreundet ist. (…) Bartenstein, ein Steirer, trifft sich nach dem Wahltag mit Haider im Wiener Café Eiles, in dem immer einige Journalisten sitzen. So können die beiden sicher sein, dass ihr Treffen umgehend in die Medien gelangt. (…) Trotzdem und ungeachtet des Lockangebots Jörg Haiders mit dem Kanzlersessel ist Schüssel zu diesem Zeitpunkt fest entschlossen, in die Opposition zu gehen. (…) Dennoch willigt Schüssel Anfang Dezember 1999 in offizielle Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten ein.

Das vergebliche Ringen um die Große Koalition

In diesen Wochen wird zum ersten Mal das Verhandlungsgeschick von Wolfgang Schüssel öffentlich: Sein Geheimnis ist, dass er sich auf jedes Gespräch bis ins kleinste Detail vorbereitet. (…) Mehr zu wissen als sein Gegenüber ist Schüssels größte Stärke. So klebt er nicht an einer zuvor festgelegten Verhandlungslinie, sondern kann flexibel verhandeln. (…) Wenn er sich mit einem anderen Parteichef zu einem Vieraugengespräch zurückzieht, zittern dessen Mitarbeiter immer, wozu Schüssel ihren Chef überreden wird. (…) Da dies seine Zeit braucht, ist der letzte, aber nicht unwichtige Bestandteil von Schüssel Verhandlungsgeschick seine Ausdauer. Er ist keiner, der Sitzungen künstlich in die Länge zieht. (…) Aber er ist auch keiner, der entnervt einem Kompromiss zustimmt, nur weil er müde ist.

Diesen Werkzeugkoffer des erfolgreichen Verhandlers packt Schüssel im Dezember 1999 auch gegenüber Viktor Klima aus. Das Ergebnis ist erstaunlich. (…) Die SPÖ-Verhandler sagen beinahe zu allem Ja, (…) und Klima ist auch wirklich überzeugt, das richtige für das Land zu tun. Doch wieder macht ihm seine Partei einen Strich durch die Rechnung. Am 11. Jänner 2000 lädt der Vorstand der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter den Kanzler vor, um sich über den Stand der Regierungsverhandlungen berichten zu lassen. Klima sagt vorsichtshalber ab und lässt sich durch Rudolf Edlinger vertreten. Als dieser die Pensionsreform-Pläne ausbreitet, wird er von der FSG-Führung in einer stundenlangen Sitzung förmlich zerrissen. Völlig verstört kehrt Edlinger zu Klima zurück und teilt ihm mit, was vorgefallen ist. (…)

Knackpunkt Nummer zwei ist die Ressortverteilung. Gleich zu Beginn der Gespräche hatte Schüssel vorgeschlagen, angesichts der verheerenden Wahlverluste beider Parteien, die Erbpachten aufzugeben: Die SPÖ soll die schwarzen Ressorts Wirtschaft, Landesverteidigung und Familie übernehmen, die ÖVP dafür die Ressorts Finanzen, Inneres uns Soziales. (…) Bald beginnt es von dort jedoch, Absagen zu hageln. (…) Bleibt als letzte Möglichkeit (…) der Abtausch des Wirtschafts- gegen das Finanzministerium.

Am 20. Jänner 2000 sind die Gespräche gescheitert
An diesem Punkt der Verhandlungen gehen beide Parteichefs am Abend des 18. Jänner 2000 in ihre Gremien. In der ZiB 2 stellt Khol namens der Partei die Forderung auf, dass der Koalitionspakt nicht nur von Viktor Klima, sondern auch von Rudolf Nürnberger unterzeichnet werden muss. (…) Die roten Gewerkschafter stimmen im SPÖ-Vorstand geschlossen gegen das Verhandlungsergebnis, woraufhin sich ihr Chef Rudolf Nürnberger ehrlicherweise außerstande sieht, den Koalitionspakt zu unterzeichnen. (…) Am 20. Jänner lässt Finanzminister Edlinger mit den Worten „Da lasse ich lieber meinen Hund auf die Wurst aufpassen als die ÖVP auf das Geld“ auch die Rochade der Ressorts platzen.

Wende startet mit schwarz-blauer Blitzeinigung
Am 21. Jänner wird Thomas Klestil vom Platzen der Koalitionsverhandlungen informiert. Haider und Schüssel starten mit den Gesprächen.

Am 24. Jänner geben die FPÖ-Gremien grünes Licht für die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP. Schüssel und Haider informieren den Bundespräsidenten und tags darauf treffen die Verhandlungsteams im Ministerratszimmer des Parlaments zur ersten Runde zusammen. (…) Ununterbrochen wird in verschiedenen Arbeitsgruppen verhandelt, und nach sechs Tagen, am 31. Jänner 2000, ist man sich einig. (…) An diesem Tag erkennt auch Bundespräsident Thomas Klestil die Realitäten an. In einem Vier­augen­gespräch signalisiert Schüssel erstmals, dass er sich der schwarz-blauen Koalition – die ohne seine Regierungsbildung zustande gekommen ist – nicht verschließen wird. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Parteien einigen, schürt den Verdacht, Schüssel hätte schon während der Koalition mit der SPÖ parallele Verhandlungen mit den Freiheitlichen geführt. (…) Die rasche Einigung erklärt sich (…) daraus, dass der Koalitionspakt von Schwarz-Blau nicht neu geschrieben werden muss. Er entspricht zu 95 Prozent dem soeben gescheiterten Arbeitsübereinkommen von SPÖ und ÖVP. Die Schlussverhandlungen zwischen Volkspartei und Freiheitlichen finden Ende Jänner 2000 bei Andreas Khol in Wien Hietzing statt.

Am 4. Februar wird die Wenderegierung angelobt.

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