"Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen", zitierte der Ex-VP-Chef und trat zurück.
"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne" - mit diesen Worten von Hermann Hesse begann Reinhold Mitterlehner seine Laufbahn als ÖVP-Chef und Vizekanzler. Gestern zog er den Hut und trat zurück. Und damit sich der Kreis hier wieder schließt, zitierte er auch in seiner Rücktrittsrede aus "Stufen", demselben Hesse-Gedicht wie damals.
In dem Gedicht sind besonders die Themen Tod und Altern im Vordergrund, die allerdings immer wieder von Antithesen begleitet sind. Das Wechselspiel zwischen Leben und Tod, Jugend und Alter und Anfang und Abschied wird darin sehr deutlich. Als Beispiel verwendet Hesse dafür eine Blume, die langsam zu welken beginnt. Themen, mit denen Mitterlehner in den letzten Wochen und Monaten zur Genüge vertraut wurde. Erst im November verstarb seine Tochter aus einer früheren Beziehung an einem Krebsleiden. Sie wurde nur 38 Jahre alt. Laufende Streitereien innerhalb der Koalition und schließlich der Umgang mit Querulanten innerhalb der eigenen Partei drängten Mitterlehner zum Abschied von der ÖVP-Spitze, um einen Neuanfang für sich und für die Partei zu garantieren.
In seiner Rücktrittsrede zitierte er eine Zeile, die Hoffnung wecken, aber auch gleichzeitig ein Appell an die Zurückgelassenen und an seinen Nachfolger sein soll. "Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen", sagte der Ex-Vizekanzler und VP-Chef.
Hier das Gedicht in voller Länge:
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!