Sebastian Kurz

Gegenpol zu Merkel

Experten: Kurz sorgte international für Beachtung

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Ex-ÖVP-Chef stand international für Generationswechsel und Gegenpol zu Merkel 

Der zurückgetretene ÖVP-Obmann und Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz hat international Aufsehen erregt. Insbesonders dadurch, dass er sich in der Migrationspolitik, im Kampf gegen die Corona-Pandemie sowie auch in Sachen EU-Finanzen in Kontrast oder sogar als Gegenpol zur deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel positioniert habe, sorgte er für Beachtung, meinen internationale Politikexperten im Gespräch mit der APA.

Kurz sei "durch deutsche Talkshows berühmt geworden" und habe es immer wieder geschafft, durch internationale Medienaufmerksamkeit auch in Österreich zu punkten, erklärte etwa der ungarische Politologe Zoltan Kiszelly. Kurz habe seinen politischen Aufstieg insbesondere der Migrationsfrage zu verdanken, wobei er als Integrationsstaatssekretär noch eine andere Haltung eingenommen habe, ergänzte der Direktor des Zentrums für politische Analyse der regierungsnahen Századvég Stiftung in Budapest. Außerdem konnte der frühere ÖVP-Chef die Partei "erneuern", von schwarz zu türkis: "Er konnte eine christlich-konservative Partei erneuern, das ist in Frankreich nicht gelungen, nicht in Italien, nicht in Spanien. Mal sehen, ob es in Deutschland gelingt."

Generationswechsel  

Ähnlich äußerte sich auch der ÖVP-nahe Politikberater Karl Jurka in Berlin: Österreich habe mit Kurz wie Frankreich mit Emmanuel Macron einen Generationswechsel vollzogen, "der in Deutschland noch nicht stattfand". Dafür habe Kurz in deutschen Medien viel Sympathie geschenkt bekommen. Jurka sprach von "Lobeshymnen" der "Bild"-Zeitung, über die "Welt", "FAZ" bis "NZZ": "die große Begeisterung" sei erst durch die strafrechtlich relevanten Vorwürfe "abgeflaut". Selbst seine strikte Linie bei den Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen sei vielerorts positiv aufgenommen worden: "Kurz hat geholfen, die EU zum Sparen zu bringen", so die Meinung.

Positiv merkte Jurka an, dass sich Kurz stets für den EU-Beitritt des Westbalkans eingesetzt habe. Das sei ihm auch in anderen Ländern gut angeschrieben worden, wie der Berater "sowohl in Berlin als auch in Paris gehört" habe. Dennoch sei Kurz "nie der große Außenpolitiker" gewesen. Ihm und seinem Team seien dabei auch "handwerkliche Fehler" passiert, erinnerte Jurka an das geplante Treffen mit dem umstrittenen US-Botschafter Richard Grenell in Berlin, das dann abgesagt werden musste.

Moderator EU-Skeptiker

Nach Ansicht des EU-Experten Stefan Lehne habe sich Kurz zwar "oft als glühender Europäer bezeichnet. Er war in Wirklichkeit ein moderater EU-Skeptiker." Der Ex-Kanzler sei "Vorläufer einer deutlich restriktiveren Migrationspolitik" gewesen, "da war er in der Avantgarde dabei". Der frühere österreichische Spitzendiplomat und nun für den Think Tank Carnegie Europe tätige Experte macht Kurz durch seine "Totalverweigerung" in der Quotenfrage aber auch "mitverantwortlich" für die fehlenden Fortschritte in der europäischen Asylpolitik.

Unter Kurz sei es zu keiner Annäherung an die Visegrad-Vier gekommen, meinten sowohl Lehne als auch Kiszelly. Aber der ungarische Politologe betonte, dass Kurz die Position der vier migrationskritischen mittelosteuropäischen Länder ungewollt "salonfähig" gemacht habe. In diesen Staaten habe auch die Regierungspolitik des "westeuropäischen" Österreichs viel Beachtung bekommen. Bei der Pandemiepolitik etwa habe Österreich für die vier Länder Vorbildwirkung gezeigt, so Kiszelly, der auch den "Sonderweg" Österreichs in den Beziehungen zu Russland ansprach..

Aus der Sicht des russischen Experten Wladimir Schwejzer ist der Rücktritt von Kurz "ein großer Verlust nicht nur für Österreich, sondern auch für Europa". Was das Verhältnis des Kreml zu Kurz betrifft, würde er im Vergleich zu anderen Politikern aus Österreich keine besondere Unterschiede sehen. "Österreichische Politiker wurden hier stets mit Hochachtung empfangen", erklärte er mit Verweis auf die österreichische Neutralität und einer Rolle Österreichs als Vermittler. Letzteres habe auch für Kurz eine Rolle gespielt und er sei deshalb in Russland stets positiv aufgenommen worden. "Er repräsentierte für uns stets den vernünftigen Teil des europäischen Establishments", sagte Schwejzer vom Europainstitut der russischen Akademie der Wissenschaften.

Mit Kurz verliere Österreich einen talentierten jungen Politiker, meint man auch in Italien. "Das ist bedauerlich, vor allem weil Europa, inklusiv Russland und der Ukraine, immer mehr ein Kontinent alter Menschen ist", erklärte der italienische Politikexperte Alessandro Politi. "Kurz hat einige Fehler begangen, aus denen er lernen kann. Er kann sich jetzt Zeit nehmen, um seine Zukunft zu überdenken und ein Comeback zu planen, nachdem die Vorwürfe gegen ihn geklärt sein werden", sagte der Experte für internationale Politik. Auch Jurka kann sich einen Wiedereinstieg von Kurz in die Politik in einigen Jahren vorstellen, weil dieser "ein politischer Mensch" sei. In den deutschen Medien wurden unterdessen Parallelen zum früheren deutschen Minister Karl-Theodor zu Guttenberg gezogen, dessen Comeback "ein ziemlicher Fehlschlag" war, berichtete Jurka.
 

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