VfGH kippt Verbot bei Beihilfe zum Selbstmord

Gericht erlaubt ''Sterbehilfe light'': Urteil sorgt für Aufregung

Teilen

In einem bahnbrechenden Urteil hebt der VfGH das Verbot der Sterbehilfe auf. Eine Entscheidung, die auch heftig kritisiert wird.

 

Heftig war im Vorfeld diskutiert worden – dazu gab es hinter den Kulissen massiven Druck der Kirche sowie der ÖVP auf die 14 Verfassungsrichter. Es half alles nichts: In einem „Jahrhunderturteil“ hob der Verfassungs­gerichtshof das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord in Österreich auf.

Der Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, so VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter.

Das Urteil gilt ab 31. Dezember 2021 – das Parlament hat Zeit für eine einwandfreie Regelung.

"Aktive Sterbehilfe" bleibt weiterhin verboten

Nicht aufgehoben wird das Verbot der aktiven Sterbehilfe, also das Verbot der „Tötung auf Verlangen“. Hätten die Verfassungsrichter diese Bestimmung (§ 77) ebenfalls gekippt, müsste Sterbehilfe dann als Mord verfolgt werden – da droht eine höhere Strafe. Und: Strafbar bleibt auch, jemanden anderen zum Selbstmord zu verleiten.

"Recht auf menschenwürdiges Sterben"

Hauptargument für das Urteil: Wenn der Patient entscheiden kann, ob sein Leben durch eine Behandlung gerettet oder verlängert wird, und andererseits sogar das vorzeitige Ableben im Rahmen einer medizinischen Behandlung in Kauf genommen wird, sei es „nicht gerechtfertigt, dem Sterbewilligen die Hilfe durch einen Dritten bei einer Selbsttötung“ zu verbieten. Soll heißen: Die bloße Beihilfe zum Suizid muss straffrei bleiben. Entscheidend sei, dass die Entscheidung auf Grundlage „einer freien Selbstbestimmung getroffen werde“, so das Gericht.

Richter: Missbrauch ist zu verhindern

Grabenwarter: „Dieses Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf menschenwürdiges Sterben.“

Dementsprechend habe der Gesetzgeber zur Verhinderung von Missbrauch Maßnahmen vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst.

Reaktionen: ÖVP kritisch, Grüne zurückhaltend, Kirche bestürzt

  • Karoline Edtstadler. Die Verfassungsministerin (ÖVP) kritisiert naturgemäß das Urteil des VfGH: „Das Leben ist das höchste Gut und genießt aus gutem Grund verfassungsrechtlich höchsten Schutz. Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass niemand den Wert seines Lebens infrage stellen muss.“
  • Sigrid Maurer. Die Klubobfrau des grünen Koalitionspartners gibt sich, ebenfalls naturgemäß, zurückhaltend: „Die Folgen der Entscheidung (…) bedürfen einer umfassenden Prüfung."
  • Kirche. Die katholische Kirche reagiert „bestürzt“. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner bezeichnet das Urteil als „Kulturbruch“. Der evangelische Bischof Michael Chalupka meint, dass positiv sei, dass Tötung auf Verlangen nicht straffrei gestellt wurde. Was die Beihilfe zum Selbstmord betrifft, sei das Urteil zu respektieren.
Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.