Nach Spuck-Affäre schockiert ein weiterer Gewaltexzess an Wiener Schule die Öffentlichkeit.
Wien. Schülerstreiche gab es immer schon. Die Bilder allerdings, die nun aus einer Schulklasse in einer HTL in der Wiener Donaustadt an die Öffentlichkeit gelangten, sprengen den Rahmen harmlosen Schüler-Lehrer-Geplänkels: Während ein Lehrer mit dem Rücken zur Klasse an der Tafel schreibt, schleudert ein Schüler einen hüfthohen Mistkübel auf den nichts ahnenden Mann. Es ist bereits der zweite Gewalt-Vorfall in einer Schule innerhalb von nur einer Woche. Erst letzte Woche hatte an der HTL Ottakring ein Lehrer einen Schüler bespuckt und dieser ihn dann mit voller Wucht gegen die Tafel gestoßen.
Polizei musste 845 Mal an Schulen ausrücken
Eskalationen. Und auch wenn die Direktoren der beiden Wiener HTL-Schulen bei den bekannt gewordenen Gewaltexzessen von „Einzelfällen“ sprechen – die jüngste Statistik zu Gewalt an Schulen 2018 zeichnet ein ganz anderes Bild. Insgesamt gab es 2018 1.323 Anzeigen wegen Gewaltdelikten an den Schulen. Das sind rund 15 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Polizei musste 854 Mal zu Bildungseinrichtungen im ganzen Land ausrücken. Das sind fast fünf Polizeieinsätze pro Tag! Das Gros der Fälle betrifft Körperverletzung (511 Fälle). An zweiter Stelle stehen Raub und Diebstahl (230). 150 Anzeigen entfallen auf Delikte wie Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, und Stalking. Brennpunkte sind Neue Mittelschulen und hier vor allem jene in der Bundeshauptstadt. An zweiter und dritter Stelle: Steiermark und Oberösterreich.
Hohe Dunkelziffer. 70 angezeigte Attacken auf Lehrer gab es im vergangenen Jahr. Wie Lehrergewerkschafter Paul Kimberger erklärt, liege die Dunkelziffer weit höher. Die Angriffe auf Lehrer, sowohl verbal als auch physisch, würden stetig zunehmen und darüber hinaus auch immer brutaler werden.
Konsequenzen. Bildungsminister Heinz Faßmann startet angesichts dieser schockierenden Zahlen nun einen Neun-Punkte-Plan, um der ausufernden Gewalt Herr zu werden.
Faßmann: "Time-out-Klassen ab 2020"
ÖSTERREICH: In der HTL Ottakring kam es zu einer Eskalation der Gewalt zwischen Schülern und einem Lehrer. Warum werden diese Schüler nicht ausgeschlossen? Sie sind ja nicht mehr schulpflichtig.
Heinz Faßmann: Weil die Sache nicht ganz so klar ist, wie sie vielleicht scheint. Das Video, das existiert, dokumentiert das Ende eines sich schrittweise aufschaukelnden Konflikts. Wie es bei Konflikten so üblich ist, haben beide Seiten ihren Anteil und noch zusätzliche andere Mechanismen haben eine Rolle gespielt.
ÖSTERREICH: Sie haben Time-out-Gruppen als Maßnahme gegen Gewalt vorgestellt. Wird das Gewalttaten senken?
Faßmann: Ich möchte vorausschicken, dass es sich dabei um eines von mehreren Elementen handelt. Wir brauchen klarerweise auch eine verstärkte Prävention. Der Normalbetrieb in der Schule muss außerdem in der Lage sein, mit Konflikten umzugehen. Und für den Eskalationsfall haben wir die Time-out-Gruppen geschaffen, die ab 2020 als Pilotprojekt starten sollen.
ÖSTERREICH: Sind sie für den Schüler die letzte Stufe vor dem Rauswurf aus der Schule?
Faßmann: Vor einer Suspendierung oder einem Schulausschluss, ja.
ÖSTERREICH: Wie lange sollen Schüler in diesen Gruppen bleiben? Eine Woche, einen Monat?
Faßmann: In der Größenordnung soll sich das abspielen. Bei der Betreuung schöpfen wir aus dem Pool der Beratungslehrer, die sind aber noch weiter zu schulen. In Ballungsräumen kann eine Gruppe auch mehrere Standorte abdecken.
ÖSTERREICH: Es gibt den Ruf nach mehr Psychologen.
Faßmann: In dem Fall in Ottakring wird ganz deutlich: Es ist nicht die Frage von mehr oder weniger. Die Psychologen sind da, sie müssen aber gerufen werden.
ÖSTERREICH: Die FPÖ fordert Bootcamps für auffällige Schüler. Eine gute Idee?
Faßmann: Ich kann mir das schwer vorstellen, ohne das Konzept im Detail zu kennen. In dem Augenblick, wo man viele problematische Fälle zusammenfasst, ihnen nicht auch eine klare Rückkehrperspektive offeriert, und die Sache auch nicht zeitlich begrenzt, schaukeln sich solche Konfliktsituationen eher auf. Man lernt dann von den anderen, aber man lernt das Falsche.
ÖSTERREICH: Themenwechsel: Derzeit ist Ramadan, Muslime fasten tagsüber. Es gibt Meldungen, dass einige Schüler für den Unterricht zu schwach sind. Wie sollen Lehrer damit umgehen?
Faßmann: Sie sollen den Kindern sagen: Trink etwas, iss etwas. Und sie sollen im Bedarfsfall die Eltern vorladen. Denn es ist auch im Koran so vorgesehen: Kranke und belastete Menschen können Nahrung zu sich nehmen. Das ist theologisch in den Griff zu bekommen.
ÖSTERREICH: Das Kopftuch-Verbot für Volksschülerinnen ist diese Woche nur mit einfacher Mehrheit beschlossen worden. Fürchten Sie, dass es der Verfassungsgerichtshof wieder aufhebt?
Faßmann: Ich persönlich glaube, es wird nicht so schnell kippen, weil das Kopftuch im Unterschied zur jüdischen Kippa kein religiös notwendiges Bekleidungsstück ist. Die Glaubensgemeinschaft selber sagt in ihrem Erlass von 2017: Es ist erst ab der Geschlechtsreife notwendig. Dort ist es auch theologisch begründet.
ÖSTERREICH: Ist eine Ausdehnung des Verbots auf die 10- bis 14-Jährigen geplant?
Faßmann: Nicht von meiner Seite. Da bewegt man sich schon auf einem theologisch und religionsrechtlich glatten Parkett.
Debora Knob