Oppositionschef kritisiert 'Umbau Österreichs in falsche Richtung' und ortet 'gewisses Maß an Abgehobenheit' bei Sozialministerin.
SPÖ-Chef Christian Kern hat am Freitag das innenpolitische Sommerloch für einen Rundumschlag gegen die Regierung genutzt. Die Koalition betreibe einen "Umbau Österreichs in die falsche Richtung", beklagte er bei einer Pressekonferenz. Angesprochen auf die Kritik des Bundespräsidenten an der mauen Oppositionsarbeit wollte sich Kern freilich nicht auf eine "Haltungsnoten-Diskussion" einlassen.
In ihrer Sprache setzten ÖVP und FPÖ auf "Spaltung und Feindbilder", permanent komme eine höhere Dosis an Zuspitzung und Ausgrenzung, befand Kern. Der SPÖ-Chef erkennt bei der Koalition auch ein "Muster" der "permanenten Desavouierung der staatstragenden Institutionen" - sei es bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der als Trunkenbold dargestellt werde, oder Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der wegen seiner Kritik daran "angerempelt worden ist wie ein Schulbub am Pausenhof". Auch werde die Pressefreiheit mit historisch bestens bekannten Begriffen wie "Systemmedien" angegriffen, zudem solle offenbar der Verfassungsschutz kaputt gemacht werden. Man rede Institutionen schlecht, um sie dann zerstören zu können, glaubt Kern.
"Politiker an ihren Worten messen"
Der SPÖ-Chef kritisierte auch den Umgang der Regierung mit dem Parlament, den Ländern und den Sozialpartnern. So werde bei der Arbeitszeitflexibilisierung einfach drübergefahren - ein etwaiges Volksbegehren dazu solle jedenfalls nicht parteipolitische vereinnahmt werden, betonte Kern. Dass Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) zuletzt in einem Interview die Frage bejaht habe, ob Menschen mit 150 Euro im Monat leben können, wertete Kern als "schon ein gewisses Maß an Abgehobenheit".
Dass seine Darstellung der Regierung übertrieben ist, glaubt der SPÖ-Chef nicht: "Ich denke, dass man Politiker schon an ihren Worten messen muss", denn diese bildeten schließlich eine Einheit mit den Taten - und man müsse rechtzeitig darauf aufmerksam machen, in welche Richtung sich etwas entwickle. Der Grundkonsens "des Gemeinsamen, des österreichischen Weges" sei "zerstört" worden.
Bereit zur Mitarbeit
Man sei aber durchaus bereit, mitzuarbeiten, appellierte Kern an ÖVP und FPÖ, "wir sind da nicht beleidigt". Angewiesen ist die Regierung auf die SPÖ beispielsweise im Bundesrat zur Reform der Bund-Länder-Kompetenzen, also des Artikel 12 der Bundesverfassung. "Ich bin absolut bereit, dass wir uns wirklich konstruktiv damit auseinandersetzen", erklärte Kern, es liege nur derzeit nichts Brauchbares dazu am Tisch, sondern es seien nur "Wolken" zu sehen. Die SPÖ würde den Artikel 12 überhaupt gerne gänzlich abschaffen.
Während Kern also gegen ÖVP und FPÖ ordentlich austeilte, tat er umgekehrt Kritik an der Oppositionsarbeit, etwa durch das Staatsoberhaupt, ab. Van der Bellen hatte im Zuge seiner Rüge der Regierung zu den Juncker-Beleidigungen auch angemerkt, dass es für die "Oppositionsparteien an der Zeit wäre, ihre Rolle zu finden", denn es sei "nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten, diese Lücke auszufüllen". "Diese Haltungsnoten-Diskussion ist eine, die mich persönlich weniger interessiert, mich interessiert die inhaltliche Auseinandersetzung", meinte Kern. "Es geht um andere Fragestellungen."
Die SPÖ habe die letzten Monate gut genützt und sei auch gut vorbereitet auf die kommenden, glaubt Kern. "Es steht dem Herrn Bundespräsidenten zu, jegliche Meinung zu äußern" - aber wenn sich die SPÖ laut äußere, heiße es "die sind beleidigt, und der Kern ganz besonders", und wenn man sich leise äußere, werde gefragt, wo denn nun die Opposition sei, kann Kern die Kritik nicht nachvollziehen.
ÖVP kritisiert "destruktive" SPÖ
Die ÖVP hat am Freitag den Ball zurückgespielt und die SPÖ in der Oppositionsrolle als "destruktiv" kritisiert. "Klubobmann (Christian) Kern hat den Zug der Veränderung verpasst", warf ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer dem früheren Bahnchef in einer Aussendung vor. "Er verharrt noch immer in der Vergangenheit und im alten System." Die Regierung hingegen "macht Österreich zu einem besseren Land", ist Nehammer überzeugt.