Kult-Autor Köhlmeier kritisiert Kurz, Strache und Co,
Am 4. Mai sorgte der Vorarlberger Autor Michael Köhlmeier mit einer Rede zum "Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus" in der Hofburg für Aufsehen. Am Montag (20. August) erscheint sein neuer, großer Roman "Bruder und Schwester Lenobel". Anlass für ein paar Fragen, die der Schriftsteller schriftlich beantwortete.
Lieber Herr Köhlmeier, Sie wurden am vergangenen Wochenende in Gmunden mit einem viertägigen "Fest für Michael Köhlmeier" gefeiert. Wie war's? Wie gehen Sie damit um, bei Veranstaltungen so im Mittelpunkt zu stehen - ist es mehr Würde oder mehr Bürde?
Michael Köhlmeier: Nach diesen Tagen bin ich sehr dankbar - und auch sehr begeistert, nämlich von den Vorträgen, die meisten haben sich ja nicht unbedingt direkt auf meine Sachen bezogen, sondern sind davon ausgegangen. Jan Assmann zum Beispiel hat über die Figur des Pontius Pilatus gesprochen, weil ich ihm vor einem Jahr erzählt habe, dass ich mich mit dem Gedanken trage, über diesen Charakter etwas zu schreiben. Raoul Schrott hat in seiner unnachahmlichen Art über die Entstehung des Detektivromans erzählt, erzählt, als wäre er der Dichter von Tausendundeinenacht.
Wie viel Überwindung hat es Sie gekostet, bei Ihrer Gedenktag-Rede am 4. Mai das zu sagen, was Sie sagten? Und wie bewerten Sie die Reaktionen, die Sie auf Ihre Rede erhielten?
Köhlmeier: Es hat mir keine Überwindung gekostet. Was habe ich zu befürchten? Ich habe viel Zustimmung bekommen. Die Reaktion von Herrn Kurz, ich würde ihn in die Nähe der Nazis stellen, ist mehr als seltsam. Er hätte nur nachlesen müssen, was ich gesagt habe, es sind ja nicht mehr als drei Schreibmaschinenseiten.
Für viele überraschend haben Sie kurz darauf in der "ZiB 2" HC Strache Ihre Unterstützung angeboten "gegen diese rechten Recken in seiner Partei, ich stehe sofort da und sei es mitten in der Nacht". Hat er sich gemeldet? Und lassen Sie Ihr Telefon seither griffbereit neben Ihrem Bett liegen?
Köhlmeier: Er hat sich nicht gemeldet. Ich habe es ehrlich gemeint. Ich fürchte, er nicht.
Die Republik hat im kommenden Herbst einige weitere wichtige Gedenktage zu begehen - vom 100. Jahrestag der Republikgründung bis zur Erinnerung an die Novemberpogrome. Was erhoffen Sie sich davon, was befürchten Sie?
Köhlmeier: Was ich mir erhoffe? Dass Herr Kurz und auch Herr Blümel, der ja, wie man hört, für die Kultur zuständig ist, endlich lernen, in einer eigenen Sprache zu sprechen, und nicht nur Schulaufsatzfloskeln hintereinander hängen. Das müsste doch möglich sein. Ich wünsche mir einen Bundeskanzler und nicht jemanden, der einen Bundeskanzler spielt, der entweder schweigt oder nichts sagt. Bitte, nicht wieder dieser Automatensprech!
Welche Rolle könnte und sollte das neue "Haus der Geschichte Österreich", das am 10. November am Heldenplatz eröffnet, spielen?
Köhlmeier: Ich habe Monika Sommer kennengelernt, die Direktorin. Ihre Ideen haben mich sehr begeistert, ihr Elan, ihre Kraft und Ausdauer. Sie wird etwas Großartiges aus dem Haus machen! Herr Strache hat ja anlässlich der Liederbuchaffäre angekündigt, dass er eine Historikerkommission zwecks Aufarbeitung der Geschichte der FPÖ einrichten wird. Da ist es doch gut, wenn es eine Institution wie das Haus der Geschichte gibt, unabhängig und kompetent. Hat Strache Frau Dr. Sommer schon kontaktiert?
Am Montag kommt Ihr neuer Roman "Bruder und Schwester Lenobel" heraus. In ihm ziehen Sie die Figur des Sebastian Lukasser weiter, den die meisten als Alter Ego des Autors interpretieren. Wie viel hat er tatsächlich von Ihnen? Welche Funktion hat er für Sie - beim Schreiben selbst und im Werkzusammenhang?
Köhlmeier: Beim Wort Funktion ist mir nicht wohl. Er ist für mich eine Person mit einem sehr ausgeprägten Charakter. Sicher ist er mir ähnlich, aber er ist nicht ich. Er ist härter als ich.
In dem Roman geht es immer wieder drunter und drüber - unter anderem weil die beiden Titelfiguren sich ihrer Umgebung gegenüber manches herausnehmen - beide verschwinden von einem Tag auf den anderen, ohne Nachricht zu hinterlassen, beide haben geheime Beziehungen. Fehlt es uns an Spontaneität? Sind wir zu sehr eingeengt vom Netz unserer Verpflichtungen und vergessen wir dabei, dass wir uns selbst am meisten verpflichtet sind?
Köhlmeier: Es kann doch auch sein, dass jemand eine geheime Affäre hat, der ganz und gar nicht spontan ist. Was mit uns geschieht, deckt sich nur selten mit dem, was wir mit uns selbst vorhaben. Aus diesem Konflikt werden Romane und wurden schon sehr viele Romane.
Es gibt viele Motivstränge in dem Roman, abgesehen vom Beziehungsgeflecht der Figuren ist es etwa die Konfrontation mit einer unklaren Vergangenheit oder das Leben in einem grenzenlosen Europa, in dem förderungswürdige "Kulturprojekte" ersonnen werden. Was war die Ursprungsidee, die Initialzündung für den Roman?
Köhlmeier: Am Anfang stehen die Figuren. Oder steht eine Figur. Bei "Bruder und Schwester Lenobel" waren es die Titelfiguren. Ich kenne beide schon aus Erzählungen, die ich vor Zeiten geschrieben habe. Und ohne dass ich es geplant hätte, sind Jetti und Robert mir in den letzten Jahren immer näher gerückt. In Jetti habe ich mich verliebt. Mir Herzklopfen habe ich über sie geschrieben. Wenn ich gesehen habe, wie sie von Satz zu Satz zum Beispiel über den Heldenplatz geht, dieser beschwingte Gang, diese Haltung, dieser Blick, voller Neugierde, Liebesbedürfnis und Begierde - da habe ich oft bis tief in die Nacht hinein geschrieben ...
Sie lassen immer wieder eines Ihrer Lieblingsthemen, nämlich Märchen, einfließen. Dass Sie davon fasziniert sind, weiß man seit Ihren Anfängen. Aber erstmals hatte ich beim Lesen den Verdacht, Sie wären vielleicht auch gerne Psychoanalytiker oder Psychotherapeut geworden. Stimmt diese Vermutung?
Köhlmeier: Nein, die Vermutung stimmt nicht! Ich wollte immer Schriftsteller werden! Aber spätestens seit Dostojewski weiß man, dass der Psychologe und der Schriftsteller auf dem gleichen Feld arbeiten. Und was die Märchen betrifft - ein Schriftsteller, der sagt, er liebt Märchen nicht, ist doch wie ein Schreiner, der sagt, er liebt Holz nicht. Ja - die Märchen sind die Primzahlen der Literatur.
Versuchen Sie als Autor Ihre Figuren zu verstehen, wenn Sie von ihnen überrascht werden, oder ist eben gerade dieser nicht erklärbare Rest auch das Geheimnis von Literatur?
Köhlmeier: Ich weiß, was ich schreibe. Mehr weiß ich nicht. Ich halte nichts davon, wenn ein Autor aus einer Sache ein Rätsel macht, die ihm selber nicht rätselhaft ist. Wenn ich das merke, und ich merke das, dann schmeiße ich das Buch in die Ecke. Es ist nicht fair dem Leser gegenüber und nicht fair der Figur gegenüber. Wenn ich mit Bestimmtheit sagen könnte, dass Jetti Sebastian Lukasser heiratet, dann hätte ich es geschrieben. Ich weiß es aber nicht mit Bestimmtheit zu sagen.
Nach diesen hoch fliegenden Fragen eine simple Abschlussfrage, down to earth: Gibt's das große Blechbild der "Joseph Schlitz Brewing Company" wirklich?
Köhlmeier: Ja, das gibt es. Ich sage aber nicht, wo es hängt. Wenn der Besitzer des Bildes dieses Interview liest, grüße ich ihn herzlich und sage, ich würde ihn gern wieder einmal besuchen und mich auf das Sofa unter dem Bild setzen.
Interview: APA