ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz im oe24.TV-Interview über seine neue Regierung.
Wien. ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner traf Bundeskanzler Sebastian Kurz zum großen Interview.
Wolfgang Fellner: Herr Bundeskanzler, ist es eine Liebesheirat gewesen oder eine Zweckehe?
Sebastian Kurz: Weder noch. Es ist politische Normalität, wenn man keine absolute Mehrheit hat und Koalitionen bilden muss. Meiner Meinung nach war es die richtige Entscheidung, mit den Grünen Regierungsverhandlungen aufzunehmen. Das Ergebnis ist ein gutes, Hochzeit ist keine geplant.
Fellner: Herr Kogler und Sie waren einander nicht immer grün bzw. türkis. Er hat sie als Schnösel bezeichnet …
Kurz: Ich habe ihn nie beleidigt. Es stimmt, dass wir zwei unterschiedliche Persönlichkeiten sind und aus sehr unterschiedlichen Parteien und Überzeugungen kommen. Was ich an ihm schätze, ist seine Handschlagqualität und dass man Dinge vertrauensvoll mit ihm besprechen kann. Darum glaube ich, dass die Zusammenarbeit gut funktionieren kann.
Fellner: Sie wagen ein europäisches Experiment. Ihnen ist klar, dass Sie Hochrisiko gehen?
Kurz: Das Leben ist immer ein Risiko, und es ist immer alles eine Frage der Alternative. Es geht nicht darum, zu experimentieren oder Vorbild für Europa zu sein. Aus meiner Sicht war es die beste Option, mit den Grünen zusammenzuarbeiten.
Fellner: Es dürfte das Kunststück gelungen sein, dass beide als Gewinner ausgestiegen sind. Beide haben viele Wahlversprechen durchgebracht. Sie schreiben ja fast Türkis-Blau fort …
Kurz: Mir war wichtig, dass wir nichts zurücknehmen. Wir nehmen keine Beschlüsse zurück, die wir mit der FPÖ gefasst haben und die gut sind. Es ist wichtig, unsere konsequente Linie bei Migration fortzusetzen. Auf der anderen Seite, beim Umweltschutz, haben die Grünen ihre Punkte eingebracht – das ist das Erfolgsgeheimnis dieser Vereinbarung, dass wir uns nicht auf Minimalkompromisse heruntergehandelt haben.
Fellner: Wann werden die Versprechungen auch eingelöst? Wann kommt die Steuerreform? Warum ist die kalte Progression nicht enthalten?
Kurz: Die kalte Progression abzuschaffen ist nach wie vor unser Ziel. Aber die Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer ist viel effektiver und vom Volumen her größer. Daher hat sie Priorität. Wir werden noch heuer die Steuerreform beschließen. Der erste Teil kommt mit 1. Jänner 2021, Teil 2 dann 2022.
Fellner: Das Nulldefizit haben Sie aber nicht mehr ernsthaft im Kopf oder?
Kurz: Sie werden noch sehen, Herr Fellner! Ich gehe mit Ihnen eine Wette ein: Wir werden 2020, genauso wie im Jahr 2019, keine neuen Schulden machen. Mir ist schon letztes Jahr von vielen prophezeit worden, dass es nicht funktioniert, Steuern zu senken und gleichzeitig keine neuen Schulden zu machen. Wir haben aber immer gesagt, dass das möglich ist, wenn man mit dem Steuergeld sparsam umgeht. Diesen Weg wollen wir fortsetzen – daher bin ich optimistisch, dass wir das schaffen.
Fellner: Gegen eine Ministerin – Alma Zadic – machen die Rechten mobil. Gibt es dazu ein Wort des Kanzlers?
Kurz: Ja, zum einen verurteile ich das, zum anderen sollte man Personen, die da im anonymen Raum Postings absetzen, nicht zu viel Raum geben. Mich hat man ja auch mit Hitler verglichen. Es wäre ein großer Beitrag für unsere Demokratie, solchen Personen nicht zu viel Öffentlichkeit zu geben.
Fellner: Mit Ihrer letzten Regierung wollten Sie eigentlich gegen Hasspostings vorgehen.
Kurz: Das konnte ja nicht ganz so beendet werden, wie wir uns das als ÖVP vorgestellt haben. Aber wir werden es sicherlich auch mit den Grünen schaffen, Maßnahmen gegen Hasspostings zu setzen. Ich glaube einfach, dass das gut wäre für den Diskurs in unserem Land.