Bundeskanzler Kurz über Ibiza, das Misstrauensvotum und die Neuwahl im September.
oe24.TV: Wie war Ihre erste Reaktion auf das Ibiza-Video mit Strache?
Sebastian Kurz: Der Vizekanzler hat mir am Vorabend angekündigt, dass da irgendein Artikel erscheinen würde, ohne jetzt genau ins Detail zu gehen, was da auf uns zukommen würde. Ich glaube, er hat es selbst nicht zu 100 Prozent gewusst. Ich bin dann am Freitagabend vorige Woche, wie viele andere auch, mit meinem Team gespannt vor Handy und PC gesessen ...
oe24.TV: Und was haben Sie sich dann gedacht?
Kurz: Ich war natürlich aufs Erste schockiert. Ich habe mir natürlich auch die Frage gestellt: Ist das jetzt alles gewesen oder kommt da noch mehr? Wer hat das Video erstellt? Wer hat es bezahlt? Ich war ja auch getroffen und schockiert, weil die Regierungsarbeit eine sehr gute war und wir inhaltlich viel für unser Land bewegt haben. Zu wissen, dass damit nicht nur die FPÖ massiv beschädigt ist, sondern auch die Regierungsarbeit zerstört ist, war schon ein schwerer Moment.
oe24.TV: Das Vertrauen war kaputt, oder?
Kurz: Selbstverständlich, ich habe gewusst, was das für Heinz-Christian Strache und was es für das Ansehen unseres Landes in der Welt bedeuten wird. Es waren also keine einfachen Stunden. Ich habe mit dem Bundespräsidenten gesprochen und den Vizekanzler getroffen. Dieser hat, den Umständen entsprechend, gefasst reagiert. Es war ihm, glaube ich, sofort klar, dass er zurücktreten muss. Insbesondere nach seinen Aussagen über Ideen des Machtmissbrauchs, aber auch den Umgang mit Steuergeld als Gegenleistung für Zuwendungen an seine Partei.
oe24.TV: Was der Vizekanzler über Sie persönlich gesagt hat, muss Sie doch auch getroffen haben?
Kurz: Das war das geringste Problem. Er hat sich entschuldigt, ich nehme das an. Aber auf dem Video waren halt viel schwerwiegendere Dinge als persönliche Beleidigungen.
oe24.TV: Der Vorwurf der gesamten Opposition ist ja: Wie kann man sich mit so einer Partei ins Regierungsbett legen?
Kurz: Ich habe immer gewusst, dass es viel Gegenwind geben wird, wenn man mit der FPÖ eine Regierung bildet, aber es war die einzige Koalitionsoption damals. Ich habe ja auch nicht hundertprozentig in die Menschen hineinsehen können.
oe24.TV: Die FPÖ wirft Ihnen vor, Sie hätten versprochen, mit Hofer weiterzuregieren, wenn Strache und Gudenus zurücktreten, und es dann gebrochen …
Kurz: Das ist so nicht richtig. Ich musste eine umfassende Bewertung der Situation vornehmen, was diese Rücktritte bedeuten. Und da gibt es einen Unterschied zwischen dem Blick der Freiheitlichen drauf und dem unseren. In der FPÖ war man der Meinung, dass es nach dem Rücktritt der beiden weitergehen kann, und was da gesagt wurde, ist irrelevant …
oe24.TV: Für Sie nicht?
Kurz: So sehr ich auch verurteile, dass Leute zu solchen widerlichen Methoden greifen und so ein Video drehen – so sehr ist es nötig aufzuklären, was jetzt an Verdachtsmomenten im Raum steht: illegale Parteienförderung, Missbrauch von Steuergeldern, Vergaben, die nicht ordentlich abgewickelt werden. Das muss einfach transparent aufgeklärt werden, und, ja, ich stehe dazu, ich glaube nicht, dass ein Innenminister gegen sich selbst ermitteln kann.
oe24.TV: Warum gibt es Neuwahlen?
Kurz: Weil die Freiheitlichen leider Gottes mit dem Video und auch mit den Enthüllungen dieser Tage die Regierungsarbeit unmöglich gemacht haben. Ich hätte gerne diese erfolgreiche Regierungsarbeit fünf oder zehn Jahre ausgeübt – aber es braucht halt neben dem richtigen inhaltlichen Kurs auch den Anstand und die richtige Grundhaltung für ein Regierungsamt. Das ist hier massiv erschüttert worden. Auch das Vertrauen in der Bevölkerung ist massiv erschüttert worden und das gilt es jetzt wieder aufzubauen.
oe24.TV: Am Montag gibt es ein Misstrauensvotum gegen Sie. Glauben Sie, dass das durchgeht?
Kurz: Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Entscheidung, die SPÖ und FPÖ gemeinsam treffen werden. Ich kann nur sagen, dass ich nach den Enthüllungen in der vergangenen Woche gemeinsam mit dem Bundespräsidenten alles versucht und unternommen habe, um Stabilität sicherzustellen und eine handlungsfähige Regierung zu schaffen.
oe24.TV: Ihr Schicksal liegt aber jetzt nicht mehr in Ihrer Hand ...
Kurz: Ich glaube, dass leider nicht bei allen das notwendige Verantwortungsgefühl vorhanden ist, sondern, dass manche da sehr stark auf die Parteitaktik achten und Rachegelüste pflegen, manche teilweise ohne Grund. Wie es derzeit ausschaut, ist das Ergebnis des Ibiza-Skandals, dass sich da gerade eine neue Koalition zwischen Rot und Blau bildet, eine Kickl-Rendi-Koalition. Die hat nur ein Ziel: mich abzuwählen. Wenn ihnen das so ein Anliegen ist, dann werden sie das am Montag im Parlament tun. Persönlich werde ich jede Abstimmung als überzeugter Demokrat respektieren. Ich sage aber auch, dass am Ende in einer Demokratie die Bevölkerung entscheidet – und zwar im September.
oe24.TV: Ist das am Sonntag noch eine EU-Wahl, oder schwingt auch ein Votum der Österreicher über die vergangenen Ereignisse mit?
Kurz: Eine Testwahl ist es definitiv nicht. Es ist eine Europawahl, und die wird es auch bleiben. Wenn die Ereignisse der letzten Tage irgendetwas Positives bewirken können, dann, dass die Wahlbeteiligung diesmal höher sein könnte.