"Effizienter"

Kurz will die EU "halbieren"

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Der Außenminister will dafür auf einen fixen Kommissar in Wien verzichten.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) will zum österreichischen EU-Ratsvorsitz 2018 eine große Reform der EU in Gang bringen, um sie effizienter, schlanker und demokratischer zu machen. Er hoffe auf eine "positive Dynamik" durch den Brexit, sagte Kurz am Dienstag vor Journalisten in Wien. Sein Vorschlag sieht auch eine Verkleinerung der EU-Kommission vor, was Wien seinen fixen Kommissar kosten würde.

Österreichische Präsidentschaft

Kurz begründete seinen Vorstoß damit, dass der Abschluss der Austrittsverhandlungen mit Großbritannien in die Zeit der österreichischen Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 falle. "Der Brexit wird Realität werden, auch wenn es uns nicht freut." Die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten sollen den britischen Austritt für einen Kurswechsel nutzen, nachdem die EU jüngst "mehrere Male falsch abgebogen" sei, sagte er etwa mit Blick auf die Flüchtlingspolitik. Er wolle "ein Europa, das sich zurücknimmt und stärker auf das Wesentliche konzentriert".

"Die EU ist zu schwach in den großen Fragen und zu dominant in den kleinen Bereichen", kritisierte Kurz unter Verweis auf die Allergenverordnung. Mehr Europa wünscht er sich in der Außen- und Sicherheitspolitik, etwa durch den Aufbau von EU-Grenzschutztruppen sowie "robusten Kriseneingreiftruppen", die nach dem Vorbild der bisher inaktiven EU-Battlegroups außerhalb der Union tätig werden können.

Kurz hat mit seiner Reform auch die Europawahl 2019 im Blick. Bei dieser solle der EU-Kommissionspräsident direkt von den Bürgern gewählt werden, weil dies seine Rolle stärke. Nach der Wahl sollen Staaten, Kommission und Europawahl mittels eines "Subsidiaritätspakts" den Tätigkeitsbereich der EU-Organe festlegen. Dies wäre auch eine "Selbstverpflichtung" der Mitgliedsstaaten, nicht ständig ihre nationalen Wünsche an die EU heranzutragen und damit europaweit gültige "Anlassgesetzgebung" hervorzurufen. Auch die Verkleinerung der EU-Kommission solle zu dazu beitragen, dass weniger EU-Regelungen produziert werden.

Vorschläge ohne Vertragsänderung möglich

Kurz betonte, dass "90 Prozent" seiner Vorschläge ohne Vertragsänderung möglich seien, etwa die Verkleinerung der EU-Kommission von 27 auf 18 Mitglieder. Dies sei nämlich schon im Vertrag von Lissabon vorgesehen gewesen (wurde aber nach dem Nein der Iren bei einer Volksabstimmung nicht umgesetzt, Anm.). Am liebsten würde der Außenminister die EU-Kommission um die Hälfte verkleinern, was aber eine Vertragsänderung samt Ratifizierung notwendig machen würde. "Ich fürchte mich nicht vor dem Thema Vertragsänderung", sagte Kurz in Anspielung auf eine mögliche Volksabstimmung darüber. Zwar sei der jetzige Zeitpunkt denkbar schwierig für EU-Vertragsänderungen, doch könnte der Brexit auch eine "positive Dynamik" auslösen.

Im Wirtschaftsbereich macht sich Kurz für eine radikale Deregulierung stark, weil "überflüssige" EU-Regeln Mehrkosten von 120 Milliarden Euro jährlich verursachten. Die Abschaffung von EU-Regeln, die "schon für große Konzerne eine Herausforderung sind", solle vor allem Klein- und Mittelbetrieben nutzen und das Wirtschaftswachstum in der EU ankurbeln. Konkret sollen EU-Regeln nur befristet beschlossen werden, außerdem sollen beim Beschluss jeder neuen EU-Regelung zwei alte aufgehoben werden. "Ich weiß schon, das kann man nicht ewig machen, weil irgendwann gibt es nur noch ein Gesetz", sagte der Außenminister scherzhaft.

Keine "Eingriffe in die Gesundheitspolitik"

Keine Freude hat Kurz auch mit "Eingriffen in die Gesundheitspolitik" und sieht Fragen wie die "Zigarettenkennzeichnung" oder "Führerscheinregelungen für Diabetiker" besser auf nationaler Ebene aufgehoben. Überhaupt solle sich die EU "zurücknehmen bei der Schaffung einer Sozialunion", bekräftigte Kurz seine Forderung für Anpassungen bei der Personenfreizügigkeit. Es könne nicht sein, dass man schon nach einem Tag Beschäftigung in einem EU-Staat vollen Anspruch auf Sozialleistungen habe. Die Personenfreizügigkeit innerhalb der EU habe "nicht das Ziel gehabt, dass man sich das beste Sozialsystem aussucht oder im Sozialsystem verharrt", sondern sollte vielmehr die Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb Europas fördern.

Der Reformprozess sei bewusst breit angelegt, "von A wie Außengrenzenschutz bis Z bis Zollunion", sagte Kurz. Er werde schon im April eine Tour durch die EU-Hauptstädte starten, um nach "Schnittmengen" mit den anderen 26 Mitgliedsstaaten zu suchen. Seinen Abschluss soll der Reformprozess bei einer "Konferenz" anlässlich der österreichischen Ratspräsidentschaft finden, so Kurz, der die Umsetzung eines "Großteils" seiner Vorschläge in den nächsten Jahren erwartet. Zugleich betonte er, dass er seine Vorschläge mit dem Koalitionspartner abstimmen werde. "Natürlich muss es hier eine gemeinsame österreichische Linie geben, die wird es auch geben."

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