Androschs Weckruf

Nach Wahl: "Stillstand und kein großer Aufbruch"

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Das neue Buch und das Interview über Koalitionsverhandlungen und SP-Opposition.

Ex-Vizekanzler und Unternehmer Hannes Androsch präsentiert am 4. Dezember das neue Buch 1848 – 1918 – 2018 (18.30 Uhr, Akademie der Wissenschaften). Es schließt an den bereits vorliegenden Bestseller 1814 – 1914 – 2014 an. Im ÖSTERREICH-Interview spricht Androsch über das Lernen aus der Geschichte und die aktuelle politische Situation in unserem Land.

ÖSTERREICH: Kann man aus der Geschichte lernen?

Hannes Androsch: Churchill sagte: Je weiter man in die Vergangenheit zu blicken vermag, desto weiter kann man in die Zukunft schauen. Aber es ist natürlich alles im Fluss. Wir haben Globalisierung, digitales Zeitalter, Drohnen, wir dringen mit DNA in den Mi­krokosmos der Erde und des Körpers vor. – Ein italienisches Sprichwort besagt: Der Kluge horcht in die Vergangenheit, denkt an die Zukunft und handelt in der Gegenwart.

ÖSTERREICH:
Tun wir das?

Androsch:
Wir blicken ja nicht einmal über den Tellerrand! Und handeln in der Gegenwart? No, handeln tun wir schon gar nicht! Jetzt haben sie sich in den Koalitionsverhandlungen auf das geeinigt, was die letzte Regierung schon beschlossen hat – aufs zweite verpflichtende Kindergartenjahr. Da war ja der Herr Kurz schon lange in der Regierung. Also, er beschließt, was er eh schon beschlossen hat. Eine große Einigung! Das bestätigt mich nur, es wird alles „anders gleich“ bleiben.

ÖSTERREICH:
Wie bewerten Sie den Gang der SPÖ in die Opposition?

Androsch: Wenn man nicht mit der Zeit geht, dann geht man mit der Zeit! Die Sozialdemokratie darf keine Bewahrungsbewegung bleiben, sondern muss wieder eine Fortschritts- und Modernisierungs­bewegung werden. Jetzt einmal ganz abgesehen von den Zickzacks und Hoppalas im Wahlkampf. Da ist man ja in Fettnäpfchen gestiegen, die es eigentlich gar nicht gegeben hat. Die hat man sich selber hingestellt! An so einen substanzlosen Wahlkampf kann ich mich gar nicht erinnern! Und ich habe das Gefühl, diese Inhaltslosigkeit setzt sich jetzt in den jetzigen Koalitionsgesprächen fort. Das Kindergartenjahr ist ja noch kein großer Aufbruch! Sie rudern an allen Ecken und Enden zurück und setzen den Stillstand fort. Sie werden Ministerien anders benennen, Kompetenzen verschieben, dazu gibt’s ein paar neue Gesichter. Und das war’s dann. Das kann’s aber nicht gewesen sein.

ÖSTERREICH:
Wird sich Kern als Oppositionspolitiker profilieren können?

Androsch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber wenn man als Kanzler so einen Wahlkampf voller Fehler gefahren hat, dann als Oppositionsführer Erfolg zu haben, das wird ungleich schwieriger! Ich kenne beide Varianten.

Christoph Hirschmann

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