Das Justizministerium "verkennt die Rechtslage völlig", so der OGH.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat mit Nachdruck die Darstellung des Justizministeriums zurückgewiesen, wonach eine vakante Vizepräsidentenstelle am OGH seit sieben Monaten aufgrund interner Meinungsverschiedenheiten am Höchstgericht nicht besetzt worden sein soll. Die entsprechende medial verbreitete Feststellung eines Sprechers von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (V) gehe von einer "völligen Verkennung der Rechtslage" aus, wie OGH-Sprecher Ronald Rohrer in einem mit 17. Jänner datierten Brief an die Ministerin festhält.
Entscheidung nicht beim OGH
"Es ist klarzustellen, dass Präsident und Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs - anders als alle anderen Richterposten - ohne Mitwirkung richterlicher Gremien aufgrund autonomen Vorschlages des Bundesministers für Justiz durch den Bundespräsidenten ernannt werden", betont Rohrer in dem Schreiben. Es sei zwar zutreffend, dass die Frage zu entscheiden sei, ob der zweite Vizepräsident ein Straf- oder ein Zivilrichter sein soll, "doch liegt diese Entscheidung nicht beim Obersten Gerichtshof, weshalb dessen richterliches Gremium auch für die bereits mediale Aufmerksamkeit erregende Verzögerung nicht verantwortlich gemacht werden kann".
Stellenbesetzungen
Rohrer wiederholt in diesem Zusammenhang die zuletzt öffentlich geäußerte Kritik von OGH-Präsidentin Irmgard Griss an Stellenbesetzungen in der Justiz. Die derzeitige Praxis, dass diese von der Justizministerin und damit einem Organ der Vollziehung vorgenommen werden, sei "demokratiepolitisch äußerst bedenklich". Für Rohrer wäre es "begrüßenswert, wenn die oben beschriebene Fehlinterpretation der Rechtslage Anstoß dazu sein könnte, dieses mit der richterlichen Unabhängigkeit nicht zu vereinbarende Manko zu beheben und die Ernennung auf die beiden Planstellen an den Vorschlag eines richterlichen Gremiums zu binden." Wie er am Dienstag erläuterte, würden in anderen EU-Staaten Gerichtspräsidenten von der Vollversammlung der Höchstgerichte gewählt: "Ich könnte mir bei uns einen Dreiervorschlag unserer Vollversammlung vorstellen." Dazu müsste vom Gesetzgeber aber das Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG) geändert werden.
"Missverständnis"
Im Justizministerium war man in der Frage der Nachbesetzung einer seit sieben Monaten vakanten Vizepräsidentenstelle am OGH um Kalmierung bemüht. Sektionschefin Constanze Kren erklärte am Dienstagnachmittag, es handle sich bei der Debatte "überhaupt ein bisschen um ein Missverständnis". Denn es habe niemand im Ministerium gemeint, dass es am OGH einen Senat gebe, der Meinungsverschiedenheiten austrage.
Gemeint gewesen sei vielmehr, dass man im Ministerium darüber informiert war, dass am OGH eine "Diskussion läuft, ob es jemand aus dem zivilrechtlichen Bereich oder dem strafrechtlichen Bereich werden sollte." Ministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) werde jedenfalls mit allen Bewerbern und Bewerberinnen Gespräche führen und dabei auch die oben genannte Frage erörtern, so Kren. Termine für die Anhörungen seien bereits fixiert und werden Anfang Februar stattfinden - es werde alles den "ganz normalen Gang nehmen".