Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) spricht sich für eine "offene, unideologische Diskussion" über eine "Weiterentwicklung" der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) aus.
Gesetze und völkerrechtliche Vereinbarungen würden regelmäßig überarbeitet und angepasst, so Kaiser in einem Eintrag in seinem Blog. Die Meinung der Sozialdemokratie sei eine andere, meinte wiederum SPÖ-Chef Andreas Babler; NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger findet die Initiative gut.
Rechtsstaatlichkeit bedeute auch "Anpassungsfähigkeit", so Kaiser, der allerdings keine konkreten Vorschläge für Änderungen machte. Zuletzt hatte Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) auch koalitionsintern für Diskussionen gesorgt, als er Änderungen in der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Migrationsbereich forderte. Dieser legt unter anderem die EMRK aus. Für diesen Vorstoß, auf den Kaiser in seinem Beitrag konkret nicht Bezug nahm, kassierte Stocker Ablehnung von NEOS und auch der SPÖ. Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, Änderungen sind daher nur im Konsens der Vertragsstaaten möglich. Darüber hinaus steht sie in Österreich im Verfassungsrang.
Welt hat sich geändert
Seit 1950 (dem Jahr der Verabschiedung der EMRK, Anm.) habe sich die Welt geändert, argumentiert Kaiser in seinem Blog-Beitrag. "Globalisierung, Digitalisierung, weltweite Kriegs- und in Zukunft verstärkte klimabedingte Migrationsbewegungen, das Erstarken religiöser und politischer Radikalisierung sowie die Zunahme terroristischer Gewaltakte stellen die Grundfeste unserer friedlich-demokratischen Gesellschaft immer öfter auf die Probe. Die Frage, ob und in welcher Weise die bestehenden Regelungen der EMRK auch in diesen neuen Realitäten effektiv greifen, ist legitim."
Die österreichische Verfassung sei seit ihrem Inkrafttreten mehr als 100mal novelliert worden, so Kaiser. Auch die Datenschutz-Grundverordnung der EU sei eine Antwort auf eine völlig veränderte Datenwelt im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor. "Warum also sollte ausgerechnet die EMRK einem nahezu heiligen, unveränderbaren Status unterliegen - obwohl sich die Rahmenbedingungen für ihren Anwendungsbereich stark verändert haben?"
Babler: Kaiser hat Meinung kundgetan
Der Schutz individueller Grundrechte müsse "stets mit der Sicherheit der gesamten Gemeinschaft in Einklang gebracht werden", betonte der Kärntner Landeschef. In Fällen schwerer Gewalt, Radikalisierung oder Terror dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass demokratische Rechtsstaaten durch eigene Regeln in eine Handlungsunfähigkeit gedrängt werden. Die EMRK sei ein "Meilenstein europäischer Zivilisation": "Aber auch Meilensteine brauchen hin und wieder ein stabiles Fundament, um nicht unter neuen Belastungen zu zerbrechen."
Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) betonte vor dem Ministerrat am Mittwoch nochmals, dass es sich bei Stockers Vorstoß um "keine akkordierte" Aktion der Regierung gehandelt habe. Die Meinung der Sozialdemokratie sei eine andere. "Ich habe mit Peter Kaiser darüber gesprochen. Das ist seine Meinung, die er auf einem Blog kundgetan hat", so der Vizekanzler.
Auch Dornauer mischt mit
Unterstützung für den Vorstoß Kaisers kam indes aus Tirol. Der ehemalige SPÖ-Landesparteivorsitzende Georg Dornauer nannte gegenüber dem Online-Medium "exxpress" eine Überprüfung der EMRK "längst überfällig", diese sei zur "Einbahnstraße für Asylmissbrauch" geworden.
Meinl-Reisinger findet Initiative gut
Außenministerin und NEOS-Chefin Meinl-Reisinger meinte wiederum, sie finde die Initiative gut. "Ich habe sie nie so verstanden, auch vom Herrn Bundeskanzler nicht, dass er grundsätzlich die Menschenrechtskonvention in Frage stellt, sondern davon ausgeht, dass wir handlungsfähig sein wollen." Zuvor hatte etwa NEOS-Klubobmann Yannick Shetty davon gesprochen, man müsse sich künftig besser abstimmen, es habe sich um eine Aktion des Bundeskanzlers und nicht der Regierung gehandelt.
Die Menschen würden den "Kontrollverlust" und die irreguläre Migration "in diesem Ausmaß" jedenfalls nicht mehr wollen, so Meinl-Reisinger. Handlungsfähigkeit des Staates und der EU müsse gegeben sein, aber auf Basis der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Es sei gut und richtig, dass man darauf dränge, einen restriktiveren Rechtsrahmen zu schaffen.
Für Grüne wird an Grundpfeilern des Rechtsstaats gesägt
Für FPÖ-Verfassungssprecher Michael Schilchegger werden mit der aktuellen Debatte "wieder Nebelgranaten gezündet", während "das Asyl- und Zuwanderungschaos" Österreich weiter an den Rand der Belastbarkeit bringe. ÖVP und SPÖ hätten bisher die Vorstöße der Freiheitlichen zur Neuauslegung der EMRK verteufelt und würden jetzt bloß versuchen, ihr eigenes Versagen zu verschleiern.
Die Grünen sahen in einer Aussendung ihrerseits bei Kaiser einen "befremdlichen Kniefall vor rechtspopulistischen Kräften". "Wer an der Europäischen Menschenrechtskonvention rüttelt, sägt an den tragenden Grundpfeilern unseres Rechtsstaates", warnte die Nationalratsabgeordnete und Kärntner Landessprecherin Olga Voglauer. Gerade wenn autoritäre Tendenzen in Europa wieder an Boden gewinnen, müsse der Schutzrahmen der EMRK gestärkt und verteidigt werden.