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Politik vor Kopf geschlagen, Kirche empört

Riesen-Wirbel um ''neue'' Sterbehilfe: Was jetzt erlaubt ist

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VfGH-Urteil über Erlaubnis einer „Sterbehilfe light“ sorgt für viel Aufregung.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat die heimische Politik mit seinem Urteil zur Sterbehilfe auf dem falschen Fuß erwischt. Wie berichtet, wurde das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord gekippt, was eine indirekte Sterbehilfe ab 2022 erlaubt.

Jedenfalls muss die türkis-grüne Koalition – zuständig ist die grüne Justizministerin Alma Zadić – bis spätestens 31. Dezember 2021 ein Gesetz für eine Art „Sterbehilfe light“ durch den Nationalrat bringen. Doch in der Regierung herrscht bei dem Thema eher Schweigen – nur ­Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer kündigte einen Diskussionsprozess mit ­Experten an. Und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler betonte: „Das Leben ist das höchste Gut und genießt verfassungsrechtlich höchsten Schutz. Wir werden auch weiter dafür sorgen, dass niemand den Wert seines Lebens infrage stellen muss.“ Wie das aussehen kann, blieb offen.

Nichts zu gewinnen

Kein Wunder, bei dem Thema Sterbehilfe ist politisch nichts zu gewinnen. In Deutschland führte die Debatte 2019 zu tiefen Gräben in den Parteien, denn: Es geht ums Gewissen – und gegen die Kirche.

Gerade in Österreich laufen kirchliche Würdenträger jetzt Sturm gegen das Urteil: Das Sterbehilfe-Urteil sei „ein Kulturbruch“ und gefährde die Solidarität, kritisierte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner. Und auch Dompfarrer Toni Faber kritisierte das Urteil auf oe24.TV scharf.

Differenziert reagierte hingegen der evangelische Bischof Michael Chalupka: Positiv sei, dass Tötung auf Verlangen nicht straffrei gestellt wurde.

Sterbebegleitung: Was jetzt erlaubt ist

  • Sterbebegleitung mit entsprechender Medikation war schon bisher erlaubt. Dabei wird hier in Kauf genommen, dass die Medikamente die Lebenszeit des Patienten verkürzen könnten.
  • Neu: Beihilfe zum Suizid. Es war bisher ver­boten, dass Ärzte oder andere Personen dem Suizidwilligen das Sterben ermöglichen, etwa dass Ärzte ihm ein tödliches Medikament verschreiben. Oder Angehörige die tödliche Me­dizin reichen oder Ähnliches. Dafür muss das Parlament bis 31. 12. 2021 ein Gesetz erlassen, das Missbrauch ausschließt.
  • NICHT ERLAUBT bleibt: Tötung auf Verlangen, also dass z. B. ein Arzt auf Wunsch des Patienten ein tödliches Medikament spritzt, ein Angehöriger es tatsächlich verabreicht.

Wie sieht das in anderen Ländern aus? In den Niederlanden, Belgien und Luxem­burg ist die Tötung auf Verlangen durch Ärzte erlaubt. In der Schweiz und seit 2019 auch in Deutschland ist der assistierte Selbstmord legal, also man darf das tödliche Medikament zur Verfügung stellen – das kann auch geschäftsmäßig geschehen. In Schweden dürfen nur Privatpersonen beim Selbstmord helfen.

Video zum Thema: Fellner! LIVE: Toni Faber im Interview

Faber: "Das tut unserer Gesellschaft nicht gut"

oe24.TV: Wie beurteilen Sie dieses Urteil?

Toni Faber: Wir haben das befürchtet. Das ist ein Szenario, das uns Sorgen bereitet, weil das Leben zu schützen ist vom ersten bis zum letzten Atemzug. Obwohl die Selbstbestimmung damit erweitert ist, tut das unserer Gesellschaft nicht gut. Was ist mit ­alten Menschen, die die Sorge haben, sie seien nicht mehr erwünscht. Denken die dann an Selbstmord? Helfen dann Ärzte, die auf das Heilen verpflichtet sind, diesen Menschen dabei, schneller aus dem Leben zu scheiden? Das ist ein Urteil, das uns mit Sorge erfüllt. Die Anerkennung, was Leben auch während des Leidens bedeutet, ist nicht mehr gegenwärtig. Schade, dass der VfGH das so beurteilt hat. Alte, leidende Menschen werden sich un­sicherer fühlen.

oe24.TV: Kann die Kirche noch etwas gegen dieses Urteil tun?

Faber: Ein VfGH-Urteil ist zu achten. Ich bin kein Jurist, gehe aber ­davon aus, dass das ab 1. Jänner 2022 gilt. Wir wollen uns unbedingt als Anwälte des Lebens verstehen. Es kann nicht sein, dass jemand, der Selbstmordgedanken hat, Ärzte in Anspruch nehmen kann, um zu sterben. Das ist ein Gegensatz für uns. Jeder hat das Recht, an der Hand eines Menschen zu sterben und nicht durch die Hand eines anderen.

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