So wird das Koalitionsaus im Ausland eingeschätzt.
Führende Medien in Deutschland und der Schweiz haben die politischen Entwicklungen rund um die Regierungskrise der türkis-blauen Bundesregierung samt Ausrufung von Neuwahlen in ihren Sonntags- oder Online-Ausgaben wie folgt kommentiert:
"Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS):
"Was Heinz-Christian Strache, bis gestern Vizekanzler Österreichs und Parteichef der rechten Partei FPÖ, von sich gegeben hat in einer Finca auf Ibiza, nicht ahnend, dass er gefilmt wurde, das richtet sich selbst. Man vermag kaum zu sagen, was schwerer wiegt: Die Bereitschaft zur Korruption, die da zutage tritt, die undemokratische Auffassung von Pressefreiheit, der Größenwahn? Oder die Torheit, mit der er zusammen mit seinem politischen Ziehsohn Johann Gudenus in die Falle getappt ist? Jeder einzelne dieser Punkte disqualifiziert ihn für jedes öffentliche Amt. (...)
Doch ist die Koalition insgesamt durch die Ibiza-Krise diskreditiert. Kurz versuchte offensichtlich noch, seine Koalition zu retten, indem er der FPÖ abverlangte, zusätzlich zum König auch die Dame zu opfern, ihren schlagkräftigsten Politiker und Chefstrategen Herbert Kickl. Dazu war die Partei dann doch nicht bereit. Für Kurz ist das eine Niederlage, selbst wenn er aus der vorzeitigen Wahl gestärkt hervorgehen sollte. Er hat nun eine Option weniger."
"Der Spiegel" (Hamburg/www.spiegel.de):
"Kurz' Schluss. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ist mit seinem Vorhaben, mit Rechtspopulisten zu koalieren, krachend gescheitert. Nun will er Neuwahlen und möglichst alleine regieren. Das ist ein riskanter, aber geschickter Schachzug. Eineinhalb Jahre hat Sebastian Kurz, Politiker der bürgerlich-konservativen ÖVP, es mit den Rechtspopulisten von der FPÖ ausgehalten. Von Dezember 2017 bis jetzt hat er mit dieser Partei regiert. Selbst an diesem Samstagabend fand er noch lobende Worte für seinen Koalitionspartner, trotz Dutzender widerlicher, zum Teil rechtsextremistischer Ausfälle in den vergangenen Monaten.
Der größte Fehler von Kurz: Er hat den Rechtspopulisten den Weg in Regierungsämter geöffnet und sie damit salonfähig gemacht. Er hat dazu beigetragen, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben und die Stimmung in Österreich zu vergiften. Er hat dabei mitgemacht, jedes Problem am Ende irgendwie auf Ausländer und Flüchtlinge zurückzuführen. Sündenböcke braucht das Land! - in dieser Haltung stand er der FPÖ in nichts nach."
"Der Tagesspiegel" (Berlin/Sonntagsausgabe):
"Europa im Blick. Nach diesem erschreckenden, entlarvenden Ibiza-Video des rechtspopulistischen Koalitionspartners Heinz-Christian Strache bleibt keine Wahl, als eine Wahl anzuberaumen. Dieses Bündnis dauert sowieso schon zu lange, um glaubwürdig vertreten zu können, dass hier eine indiskutable Gruppierung wie die FPÖ mittels gemeinsamer harter Arbeit fürs Gemeinwohl diszipliniert werden kann. Die vielleicht über die Monate und Jahre zu verlässlichen Demokraten erzogen wird. Wird sie nicht. (...) Kein Demokrat darf jetzt noch, nach allem, was bekannt ist, den anarchischen Ansatz zur Zerstörung des Bestehenden, der Grundfesten des Staates, unwidersprochen lassen. Und kein Konservativer darf sich seinen Begriff nehmen lassen. Das ist die Herausforderung von Wien.
Ein Erfolg hätte natürlich europaweite Ausstrahlung - im einen wie im anderen Fall. Aber mit der Lage in Österreich verbunden ist eben genau die Hoffnung, jedenfalls im Stillen, dass sich das Ergebnis kathartisch auf die Nachbarstaaten auswirkt, auf Italien, Ungarn, Tschechien. Was pathetisch klingt, ist schlicht wahr: Sebastian Kurz handelt in Österreich in europäischer Verantwortung. Es wäre gut, wenn die europäischen Kollegen, zumal die Konservativen, das würdigten. Und ihn so ermutigten, dem tragenden Gedanken Geltung zu verschaffen, dass Solidarität der Demokraten zur abendländischen Kultur gehört."
"Tageszeitung" (Berlin/www.taz.de):
"Tschüss, HC Strache! Der Staatsumbau nebenan. Das Ibiza-Video enthüllt, wohin Bündnisse neoliberaler und autoritärer Emporkömmlinge streben. (...) ÖVP und FPÖ bilden ein System. Seit 2017 haben in Österreich die konservative ÖVP und die rechtsradikale FPÖ nun regiert, und eines ist in diesen knapp anderthalb Jahren sehr sichtbar geworden: Diese beiden Parteien bilden ein System. Die jungen Emporkömmlinge in der ÖVP, die mit dem aktuellen Kanzler Sebastian Kurz an die Macht gekommen sind, krempeln das Land nach ihrem marktradikalem Gusto um. (...)
Und sie versorgen dabei ihre Freunde. Der Milliardär René Benko beispielsweise konnte im vergangenen Jahr gen Weihnachten ein Kaufhaus vergleichsweise billig erwerben, und es spricht vieles dafür, dass ihm Kanzler Kurz dabei zur Seite sprang. Der neoliberale und der autoritäre, rassismusgetriebene Staatsumbau gehören zusammen. Die Menschen, die am Samstag in Wien auf dem Ballhausplatz gestanden und Neuwahlen verlangt haben, wollen keine Ameisen sein. Sie wissen, dass eine Gesellschaft ohne Konsequenzen die Gefahr birgt, zu einer Diktatur der Verantwortungslosigkeit zu mutieren, in der irgendwann nur noch der Stärkere recht hat. Der Sturz des Heinz-Christian Strache bietet da eine Chance: Dass die gefährliche Bewegung doch noch aufgehalten wird."
"Die Zeit" (Hamburg/www.zeit.de):
"Kurz will weiterregieren. Am liebsten allein. Was kommt nun? Die ÖVP hofft darauf, enttäuschte Wähler der Freiheitlichen einzufangen. Schon einmal hat das funktioniert, im Jahr 2002, als die damalige schwarz-blaue Koalition nach Turbulenzen in der FPÖ aufgekündigt wurde und die Konservativen 15 Prozentpunkte zulegen konnte. Auch wenn er in der aktuellen Situation das erste Mal schwach wirkte und für kurze Zeit nicht mehr voll handlungsfähig war: Für Kurz könnte der Zeitpunkt für Neuwahlen nicht günstiger sein. Echte Gegner hat er wenige. Die Sozialdemokraten knabbern noch immer am Verlust des Kanzleramtes. Christian Kern ist weg, die neue Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner sucht noch ihre Rolle. Die Grünen kämpfen um das politische Überleben und die liberalen Neos haben ebenfalls einen Obmannwechsel hinter sich. Sebastian Kurz will weiterregieren. Und der Wahlkampf, der sich bis in den Herbst ziehen wird, hat bereits begonnen."
"Neue Zürcher Zeitung" (Sonntagsausgabe):
"Noch ist der europäische Rechtspopulismus nicht besiegt. Kurz bevor sich am Samstag an einer Kundgebung in Mailand Europas Rechtspopulisten gegenseitig noch einmal Mut machten für den geplanten Durchmarsch bei den Europawahlen, musste in Wien einer ihrer wichtigsten Verbündeten den Hut nehmen. Mit Heinz-Christian Strache ist eine der Vorzeigefiguren der europäischen Rechten über ein kompromittierendes Video gestolpert. Stehen wir jetzt am Anfang der Populistendämmerung in Europa? So sehr man sich das auch wünschen würde: Es ist wenig wahrscheinlich.
Denn noch haben die etablierten Volksparteien kein Rezept gefunden, um die Salvinis und Le Pens zu bekämpfen. Die Vorgänge in Österreich zeigen es exemplarisch: Es hätte gute Gründe gegeben, Strache wegen seiner Politik oder wegen seiner Vergangenheit abzuberufen. Doch zu Fall gekommen ist er, weil man ihm eine Falle gestellt hat. Noch ist unklar, wie das Video zustande gekommen ist, welche Motive hinter der Inszenierung stehen und warum der Film erst zwei Jahre nach seiner Entstehung publik geworden ist. Das muss geklärt werden, sonst verliert sich die Politik in einem toxischen Gemisch aus Verschwörungstheorien und Vermutungen, was wiederum den Populismus am Leben erhält. Es wäre besser, wenn Europa zur Tradition des Wettstreits um Fakten und Argumente zurückfinden würde."