Nationalratspräsident Sobotka tadelt FPÖ-Klubchef Kickl: Holocaust-Vergleiche seien "keine Meinungsfreiheit".
Wien. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) übt scharfe Kritik an FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, der sich im "ZiB2"-Interview nicht von antisemitischen Codes bei den Anti-Corona-Demonstrationen distanziert hat. "Meinungsfreiheit ist ein wichtiges Gut in unserer Demokratie, aber bei jeder Form des Antisemitismus ist eine klare Grenze zu ziehen. Solche Aussagen, wie jene des FPÖ-Klubobmanns, überschreiten diese Grenze klar."
Kickl hatte in dem Interview am Dienstagabend erklärt, "dass der Nationalsozialismus ja nicht mit einem Weltkrieg begonnen hat und nicht mit irgendwelchen Vernichtungslagern, sondern er hat damit begonnen, dass man Menschen systematisch ausgegrenzt hat. Er hat damit begonnen, dass man zum Beispiel Kinder, weil sie jüdischer Abstammung gewesen sind, nicht in die Schule gelassen hat. Wenn jetzt dort Leute zum Beispiel mit einer israelischen Flagge herumrennen, dann tun sie das nicht deshalb, weil sie den Nationalsozialismus verherrlichen, sondern, weil sie die Kritik zum Ausdruck bringen wollen, die in Form einer Sündenbockpolitik hier stattfinden. Und das ist der Punkt."
Sobotka: Provokation ist NS-verharmlosend
Zum Einwand, dass bei den Demonstrationen Menschen mit "Judensternen" und mit Schildern "Impfen macht frei" auftreten, stellte der FPÖ-Obmann fest: "Das ist eine Kritik am Nationalsozialismus und überhaupt nichts anderes." Und wenn das eine Verharmlosung des Nationalsozialismus sei, "dann möchte ich nicht wissen, was das dann ist, wenn irgendwelche politischen Gegner der Freiheitlichen mich und andere als Nationalsozialisten oder als Leute, die eine Affinität dazu haben, bezeichnen."
"Wer schon einmal in Auschwitz war und die Zeile 'Arbeit macht frei' mit eigenen Augen am Eingang dieses Vernichtungslagers prangend gesehen hat, dem würden solche Vergleiche und auch deren Rechtfertigung nicht über die Lippen kommen", zeigte sich Sobotka am Donnerstag in einer Aussendung überzeugt. "Diese bewusste Provokation ist zynisch, verharmlosend und ein Schlag ins Gesicht für die wenigen heute noch lebenden Opfer des Nationalsozialismus und deren Nachfahren", richtete der Nationalratspräsident dem FPÖ-Chef aus. "Ich würde mir von einem gewählten Volksvertreter unseres Landes im Jahr 2021 daher eine Klarstellung zum Slogan 'Impfen macht frei' erwarten und keine perfide zynisch eingesetzte Bedeutungsumkehr."
"Kickl spielt gezielt mit NS-Gedankengut"
"Provokation und kalkulierte Aufmerksamkeit rechtfertigen nicht jedes Mittel", betonte Sobotka, der auch Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus ist. "Kickl spielt hier ganz gezielt mit NS-Gedankengut, was Österreichs Ansehen in der demokratischen Welt schadet. Er hat damit eindeutig eine rote Linie überschritten."
Generell seien derartige Vergleiche in jeder Form abzulehnen und entschieden zurückzuweisen. Impfungen und andere Corona-Maßnahmen seien ausschließlich für den Schutz der Bevölkerung gedacht, während Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus gedemütigt, erniedrigt, ihrer Bürgerrechte und am Ende bestialisch ihres Lebens beraubt wurden, erinnerte Sobotka.
Man werde sich des Themas auch in der Demokratiewerkstatt des Parlaments annehmen. "Jungen Menschen die fundamentalen Unterschiede zwischen Demokratie und Terrorregime zu verdeutlichen, kann angesichts solcher Entwicklungen nur unser oberstes Ziel sein.
Reaktion von Antisemitismus-Forscherin
In der Aussendung kam auch die Antisemitismus-Forscherin der TU Berlin Monika Schwarz-Friesel zu Wort. Sie sieht generell "jeden NS-Vergleich als unverhältnismäßig und Holocaust-relativierend, da die Shoah ein unikales Menschheitsverbrechen war, das Leid und Tod über sechs Millionen Jüdinnen und Juden brachte. Dass Anti-Corona-Demonstranten sich mit damals Verfolgten vergleichen, den stigmatisierenden gelben Stern tragen - welcher seinerzeit Verdammnis und Tod bedeutete - und KZ-Sprüche in Bezug auf die Corona-Maßnahmen umdeuten, ist eine besonders perfide und pietätlose Form der Shoah-Relativierung."
Die FPÖ zeigte sich nach der Schelte nicht einsichtig: Kickl habe "die Sündenbockpolitik kritisiert, die von der Bundesregierung systematisch betrieben wird. Sündenbockpolitik ist der wesentliche Grundzug aller totalitären Systeme", konterte der blaue Generalsekretär Michael Schnedlitz. Gleichzeitig warf er Sobotka und der ÖVP vor, "bis heute ein inniges Verhältnis zum Austrofaschismus" zu haben. "Sobotka und die ÖVP haben genug Mist vor der eigenen Türe", befand Schnedlitz. Sobotka missbrauche "das wichtige Thema des Kampfes gegen den Antisemitismus für ein Ablenkungsmanöver von den Malversationen seiner eigenen Partei".