Nicht nur die Wallonie stellt sich quer. Laut einer Umfrage ist auch die Mehrheit der Befragten gegen das Abkommen. Die EU ringt weiter.
Kanzler Christian Kern hat sich jetzt doch entschlossen, CETA durchzuziehen – Rückhalt in der Bevölkerung hat er für seinen Kurswechsel allerdings kaum. ÖSTERREICH beauftragte das renommierte Gallup-Institut, die Stimmung in der Bevölkerung zu erheben (800 Befragte online und telefonisch vom 18. 10. bis 20. 10. 2016). Das Ergebnis ist jedenfalls eindeutig: Die Mehrheit lehnt den Handelspakt mit Kanada rundweg ab.
Österreicher fühlen sich nicht genug informiert
■ Schlechte Information. Und nicht nur das: Gleich 74 % sagen, sie fühlen sich in Sachen CETA nicht ausreichend informiert.
■ Mehr Nachteile. 45 % glauben, der Handelspakt bringe Österreich mehr Nachteile als Vorteile. Und das, obwohl inzwischen festgeschrieben wurde, dass Österreich alle Umwelt- und Lebensmittelstandards erhalten kann.
■ Pro Volksabstimmung. 47 % wollen mitreden und fordern eine Volksabstimmung, bevor der Handelspakt wirklich in Kraft tritt.
■ Mehrheit dagegen. Diese Volksabstimmung würde klar gegen CETA ausgehen: 71 % der Befragten würden gegen den ungeliebten Handelspakt stimmen, nur 29 % sind dafür.
■ Nur ÖVPler dafür. Dabei geht die Ablehnung quer durch (fast) alle Parteien: Gegen CETA sind die Wähler von SPÖ, FPÖ und den Grünen. Bei den Blauen ist die Ablehnung am stärksten. Für CETA sind nur die ÖVP-Wähler, gespalten indes die Anhänger der Neos, die sich ebenfalls für CETA starkmachen.
ÖSTERREICH in Brüssel: CETA bleibt bis zuletzt eine Zitterpartie
Bereits beim Hinflug nach Brüssel stellte sich SPÖ-Kanzler Christian Kern auf lange Gipfeltage in Brüssel ein. Er werde „den von der EU geplanten Schlussfolgerungen bezüglich TTIP sicher nicht zustimmen“, so Kern zu ÖSTERREICH. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel treibe den Freihandelspakt zwischen EU und USA voran. Angesichts der Probleme rund um CETA, dem angestrebten Abkommen mit Kanada, zweifle er „an der Lernfähigkeit einiger in der EU“, so Kern.
Der Gipfel der 28 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel gestern und heute hätte sich schließlich mit dem Freihandel im Allgemeinen und nicht mehr mit CETA im Speziellen beschäftigen sollen. Aber da die Wallonen, die frankophone Minderheit in Belgien, das Abkommen bis zuletzt blockierten, sollte der Gipfel eben doch wieder vom Kanada-Deal überschattet werden.
Vergebens
Bei einem Treffen der EU-Sozialdemokraten mit Kern und dem französischen Präsidenten versuchte François Hollande, die Wallonen zum Einlenken zu bewegen. Vergebens. CETA sollte bei einem Gipfel zwischen EU und Kanada am 27. Oktober vorläufig ratifiziert werden. Nur Teile des Abkommens würden dann in Kraft treten. Über die umstrittenen Schiedsgerichte soll erst Ende 2017 in den nationalen Parlamenten der EU-Staaten abgestimmt werden.
Die Wallonen lehnten am Abend CETA neuerlich ab
Kern geht wie seine Kollegen davon aus, dass die Wallonen am Ende noch zustimmen könnten. So tagten gestern gegen 20 Uhr die EU-Botschafter und berieten über ein Kompromisspapier. Danach berief der wallonische Premier Paul Magnette für heute eine Parlamentssitzung ein. Für die EU sollte es dennoch eine Zitterpartie bis zuletzt bleiben, denn gegen 23 Uhr erfuhr man: „Die belgische Regionalregierung der Wallonie hat trotz Nachbesserungen den EU-Kanada-Handelspakt CETA neuerlich abgelehnt“, so die Zeitung L’Echo.
Deadline. „Ich gehe davon aus, dass zeitgerecht bis zum 27. Oktober abgeschlossen wird“, sagt Kern. Dass die Frist am EU-Gipfel selbst ausläuft, beantwortete der Kanzler damit, dass die „Deadline“ sich schon oft verschoben habe.
Kern will CETA zwar nicht mehr aufschnüren, aber den Prozess für TTIP rechtzeitig stoppen, sagt der SPÖ-Chef. Notfalls würde er es auch als Einziger blockieren. (Isabelle Daniel aus Brüssel)
Kern: "Handels-Politik jetzt neu ausrichten"
Der Bundeskanzler Christian Kern im ÖSTERREICH-Interview.
ÖSTERREICH: Was erwarten Sie vom EU-Gipfel?
Christian Kern: Es wird eine ernsthafte Diskussion über die Handelspolitik der EU geben. CETA ist ja nur ein Thema, es wird auch um TTIP und das Handelsabkommen mit Japan gehen, und ich werde dafür plädieren, dass wir unsere Handelspolitik neu ausrichten.
ÖSTERREICH: Sie wollen in Brüssel Nein zu TTIP sagen?
Kern: Wir werden ganz klar sagen, dass wir eine Revision des Verhandlungsmandates wollen. Derzeit ist es zu weit reichend. Viele Menschen in Europa machen sich Sorgen. Wenn wir uns über sie hinwegsetzen, machen wir einen großen Fehler.