Van der Bellen im Interview

VdB: "Sicherungshaft? Das wird schwierig"

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht die geplante Sicherungshaft mehr als kritisch.

Wien. ÖSTERREICH traf Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Interview.
 
ÖSTERREICH: Herr Bundespräsident, was war für Sie die große positive, was die negative Überraschung in den ersten drei Jahren?
 
Alexander Van der Bellen: Positiv unser China-Besuch 2018. Wir sind da mit einer Riesendelegation angereist und am Ende konnte ich den Journalisten sagen: „Schaut‘s, es gibt 150 mal so viele Chinesen wie Österreicher, das ist ein riesiges Land, aber es nimmt uns als kleines Land ernst. Nehmen wir uns doch selbst ernster und seien wir etwas selbstbewusster. Negativ war es sicher das Ibiza-Video. Dass ein Vizekanzler und ein Klubobmann sich solche skandalösen Dinge leisten können, hätte ich nicht für möglich gehalten.
 
ÖSTERREICH: Eigentlich müssten Sie Ibiza dankbar sein ...
 
Van der Bellen: Nein. Ibiza hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik erschüttert. Es war ein Ereignis, das wieder einmal zeigt, wie blitzschnell sich in der Politik alles ändern kann. Am 16. Mai vor der Veröffentlichung des Videos schien die Regierung stabil, und plötzlich war alles anders.
 
ÖSTERREICH: : Ihre Umfragewerte sind jedenfalls danach rasant gestiegen.
 
Van der Bellen: Meine Werte sind nicht für Ibiza gesteigen. Warum darf ich nicht ein bisschen Selbstbewusstsein entwickeln? Es freut mich, wenn die Bevölkerung es so einschätzt, dass wir gemeinsam in der Präsidentschaftskanzlei dazu beigetragen haben, die Krise zu bewältigen.
 
ÖSTERREICH: Haben Sie auch ein wenig geschmunzelt, als Sie das Video gesehen haben?
 
Van der Bellen: Nein. Ich fand da nichts Lustiges. Offene Korruption durch Manipulation öffentlicher Aufträge, die Beschneidung der Medienfreiheit, die Förderung der illegalen Parteienfinanzierung ...
 
ÖSTERREICH: Für Sie war von Anfang an klar: Die müssen gehen?
 
Van der Bellen: Es war klar, das wird Folgen haben. Eindeutig.
 
ÖSTERREICH: Haben Sie sich eigentlich gewundert, dass Türkis-Grün zustande kommt?
 
Van der Bellen: Gewundert nicht. Es hätte zwar andere Möglichkeiten gegeben, aber die schienen deutlich weniger attraktiv ...
 
ÖSTERREICH: Auch nicht gewundert, als Sie dann das Regierungsprogramm gelesen und festgestellt haben, dass die Grünen in vielen Punkten nachgegeben haben? Stichwort Sicherungshaft.

Van der Bellen: Hier werden wir sehen, ob da eine verfassungskonforme Lösung zustande kommen kann. Ich halte es für sehr schwierig. Ein klar verfassungswidriges Gesetz dürfte ich nicht unterschreiben. Aber das weiß auch die Koalition.
 
ÖSTERREICH: Die Grünen argumentieren, die Sicherungshaft sei eh nicht verfassungskonform. Was aber, wenn die ÖVP verlangt, die Verfassung zu ändern. Würden Sie da einschreiten?

Van der Bellen: Ich werde mir das unter Garantie genau ansehen, weil das keine triviale Geschichte ist. Da geht es um Bürgerrechte erster Ordnung.
 
ÖSTERREICH: Was halten Sie vom Kopftuchverbot für Lehrerinnen?
 
Van der Bellen: Ich war vor ein paar Jahren auf der ETH Zürich, eine der besten Universitäten der Welt, die über 20 Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Da kommt eine Dame auf mich zu, die sich als Mathematik-Professorin vorstellt und ein Kopftuch trägt. Sie hat mir gesagt: „Ist es nicht wichtiger, was man im Kopf hat als das, was man auf dem Kopf hat?“ Das würde ich gerne als Leitlinie in dieser Frage sehen.
 
ÖSTERREICH: Sind Sie mit dem Klimaschutzpaket der Regierung zufrieden?

Van der Bellen: Wenn es zu entsprechend wirksamenMaßnahmen führt, ja. Aber machen wir uns nichts vor: Das Thema wird uns mehr als fünf Jahre begleiten und es ist wirklich ernst. Ich sage: Leute, wir haben es verdammt eilig, weil das Tempo der Klimaveränderung wurde unterschätzt.
 
ÖSTERREICH: Sie haben mehr Lust am Streit eingefordert. Sind Sie optimistisch, dass Türkis-Grün dieser Forderung nachkommen wird?
 
Van der Bellen: Ich bin für eine gute demokratische Streitkultur. Wir Österreicher tun uns da immer schwerer als die Deutschen, die direkter sind und eine klare Sprache haben. Wir Österreicher sind da etwas chinesisch. Die sagen auch nicht gern Nein und – frei übersetzt – „Schau ma mal ..“
 
ÖSTERREICH: Sie sind überzeugter Europäer. Gibt es etwas, womit Sie unzufrieden sind?
 
Van der Bellen: Als ich Putin das letzte Mal getroffen habe –übrigens zwei Tage vor Ibiza – habe ich ihn auf die bevorstehenden Europawahlen angesprochen und gefragt, was er sich davon erwartet. Er hat mich angelächelt, wie es seine Art ist, und gesagt: „Das ist uns egal.“ Für mich war die Botschaft: Macht weiter in Eurem EU-Kindergarten, wir machen inzwischen Politik. Das hat mir einen Stich versetzt, denn so unrecht hat er nicht: Wo ist unsere gemeinsame Außenpolitik? Wo ist unsere gemeinsame Position zu Syrien und dem Irak? Das, was Juncker die fehlende Weltpolitikfähigkeit der EU genannt hat, diese Weltpolitikfähigkeit müssen wir entwickeln.
 
ÖSTERREICH: Europa hat hier die Hoffnung auf Macron gesetzt ...

Van der Bellen: Ja, Macron hat oft den Finger auf die Wunde gelegt und gute Ideen gehabt. Aber wir alle wissen, das ist ein Marathonlauf und kein 100-Meter-Sprint.
 
ÖSTERREICH: Am Montag besuchen Sie Auschwitz, ist es wieder notwendiger geworden, das Wort gegen den Antisemitismus zu erheben?
 
Van der Bellen: In Österreich gibt es einen parteienübergreifenden Konsens, dass Antisemitismus tabu ist. Die immer wieder vorkommenden Einzelfälle haben fast immer Konsequenzen. In anderen Ländern würde ich mir mehr Sorgen machen. Es wird in Österreich niemand geben, der den Satz „Nie wieder Auschwitz!“ nicht unterschreibt. Aber mindestens so wichtig ist die Vorgeschichte. Wie es zu Auschwitz kam. Die ersten Diskriminierungen 1933 mit Berufsverboten, Ausbildungsverboten, später dann die Heiratsververbote, schließlich durfte sich kein Jude mehr auf eine Parkbank setzen. Es war eine schrittweise Entmenschlichung einer Personengruppe, damals der Juden, wo sich zum Schluss viele nichts mehr dabei gedacht haben, diese Personen, die Juden einfach umzubringen. Da müssen wir wachsam sein. Und bedenken, gegen welche andere Minderheit es sich heute richten könnte.
 
ÖSTERREICH: Übersehen wir, dass wir schon erste Schritte setzen?
 
Van der Bellen: Deswegen betone ich immer die Grund- und Freiheitsrechte. Die Würde des Individuums, die Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit,. Das ist kein Hobby von mir, sondern Lernen aus der Geschichte.
 
ÖSTERREICH: : Ich muss die Frage stellen, die Sie nicht beantworten werden. Ich stelle sie daher anders: Haben Sie schon entschieden, ob sie noch einmal antreten?

Van der Bellen: Nein, ich wäge noch ab.
 
ÖSTERREICH: Wohin geht die Neigung.
 
Van der Bellen: Bitte Herr Schima, Gnade vor Recht.
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