Das Kommentar-Duell

Wäre die FPÖ überhaupt noch regierungsfähig?

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Pro & Contra von ÖSTERREICH-Politik-Insiderin Isabelle Daniel und  oe24.at- & oe24.TV-Chefredakteur Richard Schmitt. 

Isabelle Daniel: »Kurz würde sich zur Geisel von Racheengel Kickl machen«

Wäre die FPÖ überhaupt noch regierungsfähig?
© oe24

Rund 80 rechtsradikale FP-"Einzelfälle". Nicht aufgearbeitete Spesenskandale und dilettantischer Postenschacher machen FPÖ regierungsunfähig.

Jörg Haider sagte bereits 2005 - nachdem er sich von der FPÖ abgespaltet hatte, um die Regierung mit der VP und sich selbst zu retten -, dass "diese FPÖ einfach nicht regierungsfähig" sei. Hat sich seit damals etwas geändert? Ja. Diese FPÖ verdeutlichte in den vergangenen Monaten eindringlich, dass ihr langjähriger Ex-Chef Haider recht hatte.

Wem die fast 80 rechtsradikalen "Einzelfälle" im Umfeld der FPÖ nicht reichen - wer also der Meinung ist, dass Nazi-Liederbücher, Heil-Hitler-Postings und "Es war nicht alles schlecht im Nationalsozialismus"-Haltungen nur Kleinigkeiten seien -, der sollte sich die allgemeine Verfasstheit der aktuellen Blauen anschauen: Alles Böse wird derzeit von FP-Spitzenträgern geschickt auf Heinz-Christian Strache abgewälzt.

Rot raus, Blau rein - der Postenschacher der FPÖ

Skandale. Ja, Strache ist für seine Aussagen im Ibiza-Video selbst verantwortlich. Ja, es gibt auch vernünftige Freiheitliche, die regieren könnten. Wer aber eindeutige politische Verfehlungen der eigenen Leute mit permanenten Verschwörungstheorien kontert, zeigt nicht nur mangelnde Selbstkritik, sondern auch, dass er die Fehler nicht versteht. Die Wiederholungsgefahr bliebe also groß. Ähnlich ging und geht die FPÖ mit der FP-Spesenaffäre um. Statt zu überprüfen, wer aller dieses seltsame Spesenkonstrukt für Strache und Frau ermöglichte, greifen die Blauen lieber Aufdecker an und schwören sich Nibelungentreue.

Ganz zu schweigen von peinlichen Postenschachergeschichten aus nur 17 Monaten FPÖ-Regierungsbeteiligung. "Rot raus, Blau rein" war offenbar ein Motto jener Partei, die ihren Aufstieg einst auch dem Kampf gegen Postenschacher verdankte.

Täglich könnte eine neue Bombe in FPÖ hochgehen

Unqualifiziert. Auch unter SPÖ und ÖVP wurde mitunter Parteibuch vor Qualifikation gestellt. Die FPÖ trieb das freilich auf die Spitze. Das Desaster im Verfassungsschutz und die Ermittlungen gegen FP-Spitzenpolitiker in der Casino-Causa komplettieren das Bild. Und wie sieht das Sebastian Kurz? Hatte er im Mai 2019 nicht jenen Herbert Kickl entlassen, der nun endgültig der starke Mann der Blauen ist? Hatte nicht Kurz gesagt: "Genug ist genug"? Wenn die VP noch einmal mit der FPÖ koaliert, würde sie sich zur Geisel von "Racheengel" Kickl machen. Ein neuerliches Scheitern wäre mehr als wahrscheinlich. Um Kurz vom Mai 2019 zu zitieren: "Die FPÖ kann es nicht." Sorry, aber die Realität spricht nun einmal für sich.

Richard Schmitt: »Trotz Skandalfällen bleibt die FPÖ eine Notlösung für Kurz«

Richard Schmitt
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× Richard Schmitt

Die Zeit könnte dabei helfen, dass einige FPÖ-Selbstmordattentate vergessen werden. Im Februar wäre "Türkis-Blau II" vielleicht doch noch möglich.

Sebastian Kurz hat die Grünen jetzt genau dort, wo er sie haben wollte: Werner Koglers Team ist extrem scharf auf die Koalition, auf das Regieren, auf die Minister-Jobs. Diese Euphorie der Grünen wird noch länger anhalten, zumindest zwei, drei Wochen. Dann wird die Steiermark-Wahl geschlagen sein, und es werden immer mehr "leider, leider unüberbrückbare Differenzen" bei den Koalitionsverhandlungen als Gerüchte in den Medien auftauchen.

Irgendwann wird Kogler klar sein: Kurz will zu viel

In den Adventwochen könnten dann Werner Kogler und seine grünen Verhandler erkennen, dass es doch nicht geht: Der ÖVP-Chef wird unter dem Druck der Länderchefs und der Bünde zu viele Zugeständnisse von den Grünen verlangen - und gleichzeitig zu wenig an seinem Parteiprogramm (vor allem beim Asylthema und bei der Standort-Förderung) für eine gemeinsame Koalition ändern wollen.

Ernüchterung könnte dann sehr flott die Anfangseuphorie verdrängen, der Traum vom Mitregieren ist vielleicht schon Anfang Dezember für die Grünen wieder zerbröselt.

Wenn die SPÖ dann nicht blitzschnell die Chance ergreift, sich mit Ernsthaftigkeit und kluger Taktik der ÖVP als besserer Koalitionspartner anzubieten, könnte die FPÖ in dieser Situation ihre Mission "Lazarus" starten: das größte Comeback eines Totgeglaubten.

Skandale bremsen die Freiheitlichen dabei kaum noch: Für Österreichs Rechts-und Mitte-rechts-Wähler ist das Image der FPÖ ja schon seit Jahrzehnten kein Geheimnis. Und sie wählen die FPÖ trotzdem. Immer wieder.

Blaue Beteuerungen, künftig »brav« zu sein

Die blauen Rüpel der Innenpolitik werden demnach auch trotz aller Ächtungsaufrufe in diversen Medien ihre Chance bekommen: Sie werden wie jeder ertappte Übeltäter versprechen, künftig "ganz brav" zu sein. Und ihre Liederbücher und Neonazis besser verstecken.

Die FPÖ wäre trotz aller Versprechen aus dem Mund von Norbert Hofer (oder dann schon von Herbert Kickl) weiterhin eine tickende Zeitbombe für die Koalition "Türkis-Blau II". Klar. Allerdings ist Sebastian Kurz ein kühl kalkulierender Stratege: Mit den Blauen bringt er seine Politik viel besser, einfacher durch als mit den Grünen. Und er kommt so der Absoluten bei der nächsten Wahl näher. Sein Risiko bleibt dafür hoch. Sehr hoch.

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