Das alte Staatsoberhaupt geht, das neue kommt - normalerweise ist dies ein sehr feierlicher Akt im politischen Berlin.
Deutscher Bundestag und Bundesrat treten dafür zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen. Der Direktor beim Deutschen Bundestag holt das Original des Grundgesetzes aus dem Safe, damit der Neue darauf seinen Amtseid leisten kann. Dieser gibt dann in einer Grundsatzrede einen Ausblick auf das, was er in den kommenden fünf Jahren erreichen will.
An diesem Freitag wäre es wieder so weit. Die erste Amtszeit von Frank-Walter Steinmeier endet. Doch weil der alte auch der neue Bundespräsident ist, geht die erste Amtszeit gleitend in die zweite über. Also: keine Sitzung, kein Amtseid, keine Grundsatzrede.
Business as usual
Auf den ersten Blick schaut Steinmeiers Freitag ein wenig nach "business as usual" aus, auf den zweiten Blick ist er dies jedoch nicht. "Rede des Bundespräsidenten bei einer Veranstaltung mit Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern", steht für 10.00 Uhr im Kalender. Solche Termine gab es in den vergangenen fünf Jahren immer wieder in seinem Amtssitz, dem Schloss Bellevue. Diesmal bildet er jedoch den Auftakt für ein neues Format mit dem Titel "Ortszeit Deutschland".
Das steckt dahinter: Aus Steinmeiers Sicht muss die Gesellschaft wieder üben, kontrovers miteinander zu diskutieren. Das könne aber nicht allein in Berlin geschehen, wie er erläuterte. Er wolle daher "die Kommunikation stärker heraustragen aus der Hauptstadt", fern von ihr zeitweise sein "Zelt aufschlagen" und von dort aus seinen Amtsgeschäften nachgehen. "Ich habe dadurch die Gelegenheit, mit mehr Zeit auch intensiver in die Debatten vor Ort hineinzuschauen." Das schließt Diskussionsrunden ein, "bei denen ich weiß, da sitzen nicht nur Menschen zusammen, die einer Meinung sind".
Erste Station wird von Freitag- bis Sonntagnachmittag Altenburg in Thüringen sein. Kontroverse Debatten sollten hier garantiert sein. Denn die Kleinstadt machte in den vergangenen Monaten immer wieder durch Proteste gegen staatliche Corona-Maßnahmen Schlagzeilen. Und ihr Oberbürgermeister André Neumann berichtete im Jänner bei einer Gesprächsrunde im Schloss Bellevue von E-Mails, in denen ihm gedroht wurde, "dass man am Tag X mitsamt Familie auf dem Markt hängt".
Demokratie soll gestärkt werden
Das zeigt, dass Steinmeier das zentrale Thema seiner ersten Amtszeit auch in den zweiten fünf Jahren erhalten bleibt: die Verteidigung der liberalen Demokratie gegen Feinde von innen wie von außen. In dieser Frage werde er nicht neutral sein, kündigte er direkt nach seiner Wiederwahl in der Bundesversammlung am 13. Februar an. "Wer für die Demokratie streitet, der hat mich auf seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben."
Der aus den Reihen der Sozialdemokraten kommende Steinmeier befürchtet, dass diejenigen, die gerade unter dem Corona-Deckmäntelchen versuchen, staatliche Institutionen zu diskreditieren, politische Repräsentanten zu attackieren und so das demokratische Gemeinwesen auszuhöhlen, auch nach einem Ende der Pandemie nicht Ruhe geben werden. Die Klimapolitik der deutschen Ampel-Regierung (Sozialdemokraten/Grüne/Liberale) wird für die Bürger nicht zum Nulltarif zu haben sein, die Sanktionen gegen Russland im Ukraine-Krieg auch nicht. Das wären schon zwei Anknüpfungspunkte, um die Unzufriedenen im Land weiter zu mobilisieren. Und zwei zusätzliche Themenfelder für Steinmeiers zweite Amtszeit.
Für diese hat er seine engste Mannschaft neu aufgestellt. Besonders auffällig: Mit Dörte Dinger wird erstmals eine Frau Chefin des Bundespräsidialamts. Die 40-Jährige leitete bisher das persönliche Büro Steinmeiers. Dieser holte sich auch zwei profilierte Journalisten neu ins Haus: Cerstin Gammelin von der "Süddeutschen Zeitung" wird seine neue Sprecherin. Marc Brost von der "Zeit" wird für Reden, Strategie und politische Planung verantwortlich sein.
Neue Formate, neue Themen, neue Mannschaft - das soll zeigen, dass Steinmeier seine zweite Amtszeit nicht einfach absitzen, sondern dem Land Impulse geben will. Er versteht sich als Brückenbauer in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft. Was voraussetzt, dass diese überhaupt bereit ist, die nicht erst in der Corona-Pandemie aufgerissenen Gräben wieder zuzuschütten. Einen ersten Eindruck wird Steinmeier am Wochenende in Altenburg bekommen.