Kopftuch und Gewalt im Gemeindebau – Kathrin Gaal bearbeitet Wiens Top-Themen.
Die neue Wohnbau- und Frauenstadträtin Kathrin Gaal erklärt im ÖSTERREICH-Talk, wie sie möglichst rasch neue Wohnungen bauen und für junge Mädchen ein selbstbestimmtes Leben ohne Schleier umsetzen will.
ÖSTERREICH: Haben Sie lange gezögert, bevor Sie das Angebot annahmen, Stadträtin zu werden?
Kathrin Gaal: Nein. Es war eine Ehre für mich und eine spannendeHerausforderung, auf die ich mich sehr freue. Leistbares Wohnen ist für mich sehr wichtig. Wien ist die Stadt des geförderten Wohnbaus, der in Wirklichkeit die größte Mittelstandsförderung ist. 62 Prozent der Wienerinnen und Wiener leben im geförderten Wohnbau. Wir reden dabei von 220.000 Gemeindewohnungen und 200.000 geförderten Wohnungen. Das voranzutreiben, eine spannende Aufgabe für mich.
ÖSTERREICH: Die Wohnbauträger sagen, dass es noch immer sehr viele Hemmnisse für die Wohnbauleistung gibt. Es würde jährlich eine Lücke von 10.000 Wohnungen bestehen.
Gaal: Wien ist beim geförderten Neubau Vorreiter. Um diese Leistung auch künftig - trotz der steigenden Baupreise - erbringen zu können und sogar noch auszubauen, wird 2019 eine Novelle der Bauordnung in Kraft treten. Sie wird wichtige Erleichterungen bringen, so fällt etwa die 1800-Euro-Obergrenze pro Quadratmeter für die Errichtungskosten eines geförderten Wohnbaus.
ÖSTERREICH: Das ging sich zuletzt bei den Grundstückspreisen sowieso nicht mehr aus.
Gaal: So ist es. Trotzdem gibt es weiter eine Mietzinsobergrenze, um Mieten leistbar zu halten. Das ist mir wichtig. Wer mehr als 4,87 Euro pro Quadratmeter Miete verlangt, erhält keine Wohnbauförderung. Die nächste Wohnbauoffensive der Stadt ist damit bereits in Umsetzung.
ÖSTERREICH: Man braucht 10.000 Wohnungen Neubauleistung pro Jahr in Wien. Das wollen Sie damit erreichen?
Gaal: Wir starten ab heuer bis 2020 eine Wohnbauoffensive mit 14.000 Wohnungen Dazu kommen noch 4.000 neue Gemeindewohnungen, die wir bis 2020 auf Schiene bringen wollen.
ÖSTERREICH: Da gab es ja ordentliche Verzögerungen...
Gaal: Am Anfang gab es Verzögerungen von drei Monaten, also nicht ganz so dramatisch. Mittlerweile ist die Fontanastraße in Favoriten in Bau. Die 120 Gemeindewohnungen werden nach Barbara Prammer, der leider viel zu früh verstorbenen Nationalratspräsidentin, benannt, was mich als Frauenstadträtin besonders freut.
ÖSTERREICH: Innerstädtisch wächst der Bedarf nach Wohnen, die Mieten im privaten Bereich explodieren. Viele Großprojekte wie das Althanviertel sind aber praktisch undurchführbar, weil die eigene Bezirks-SPÖ auch dagegen war.
Gaal: Bürgerbeteiligung ist in Ordnung. Man darf nicht an den Menschen vorbei planen. Wir müssen in den Ressorts Planung und Wohnbau künftig intensiv miteinander arbeiten, um Projekte gut umsetzen zu können.
ÖSTERREICH: Die Bundes-SPÖ ist gegen Straffungen der Umweltverträglichkeitsprüfungen, Sie müssten eigentlich dafür sein, oder?
Gaal: Wir schauen uns gemeinsam mit dem Planungsressort an, ob man hier an der einen oder anderen Schraube drehen kann. Wir wollen die Verfahren effizienter machen.
ÖSTERREICH: Nochmals Bundespolitik: Wie dringend braucht Wien ein neues Mietrechtsgesetz?
Gaal: Die hohen Mieten sind ja alle im privaten Bereich. Ein einheitliches Mietrecht wäre dringend notwendig. Alle Vorschläge der SPÖ mit Zu- und Abschlägen sind früher am Koalitionspartner gescheitert. Ich hoffe, dass die Regierung ein neues Mietrecht zustande bringt.
ÖSTERREICH: Die Frage ist, was da drin steht. Ob etwa alle Beschränkungen bei Zuschlägen und Befristungen fallen...
Gaal: Natürlich. Das würden wir natürlich ablehnen. Uns interessiert der Schutz der Mieter.
ÖSTERREICH. Sie sind auch Frauenstadträtin. Was ist Ihre Position zum Kopftuch?
Gaal: Mir ist wichtig, dass Frauen in dieser Stadt selbstbestimmt leben. Das beginnt bei Mädchen im Kindergarten und in der Volksschule. Sie sollen lernen dürfen, ihren Willen frei zu entfalten. Sie sollen einfach Kind sein dürfen. Deshalb kann ich mich mit einem Kopftuch im Kindergarten oder in der Volksschule nicht anfreunden. Was ich aber noch will: Wir müssen darüber reden, wie die pädagogischen flankierenden Maßnahmen aussehen. Wenn wirklich ein Kind im Kindergarten mit einem Kopftuch auftaucht, dann muss man mit den Eltern reden, was ja auch oft bereits passiert. Dort und in der Volksschule ist es in der Regel die Entscheidung der Eltern, ob das Mädchen Kopftuch trägt oder nicht. Da muss man Aufklärungsarbeit leisten.
ÖSTERREICH: Denken Sie also an ein Kopftuchverbot im Kindergarten und in der Volksschule?
Gaal: Wir diskutieren das sehr intensiv in der SPÖ. Mir gefallen Kopftücher im Kindergarten oder in der Volksschule nicht. Aber wenn, dann nur mit flankierenden Maßnahmen.
ÖSTERREICH: Die Salzburger SPÖ-Vizebürgermeisterin hat an alle Eltern einen Brief geschrieben, dass in ihrer Stadt das Kopftuch im Kindergarten nicht erwünscht sei und dass sie die Eltern zu Gesprächen einlade. Ist das ein gutes Modell?
Gaal: Ich will da jetzt dem Diskussionsprozess nicht vorgreifen. Aber ich bin mir sicher, dass die SPÖ da auf eine einheitliche Linie kommt.
ÖSTERREICH: Hat die SPÖ in Sachen Integration Fehler gemacht?
Gaal: Ich will keine Vergangenheitsbewältigung betreiben, weil im Nachhinein ist man immer gescheiter. Aber es stimmt: Die Integration ist beim Wohnen ein großes Thema. Es gilt die von Michael Ludwig initiierte Hausordnung im Gemeindebau, an die sich alle halten müssen. Aber daneben brauchen wir auch andere Maßnahmen, etwa die Wohnpartner-Initiativen in den Gemeindebauten. Die helfen als Mediatoren bei Konflikten und sorgen für ein Wir-Gefühl im Gemeindebau, vom Kochkurs bis zur Lernbegleitung der Kinder.
ÖSTERREICH: Wollen Sie die Erdgeschoßflächen in den Gemeindebauten beleben?
Gaal: Das ist ein wichtiges Thema, da arbeiten wir mit der Ärztekammer beim Praxenausbau zusammen und mit der Wirtschaftskammer, um Nahversorger und Start Ups in die Gemeindebauten zu holen.
ÖSTERREICH: Hat das auch einen Sicherheitsaspekt?
Gaal: Natürlich, das belebte Erdgeschoß ist Kommunikationsort, Wohlfühlplatz und nützt der Sicherheit.
ÖSTERREICH: Was tun Sie gegen die vielen Messerangriffe in den Gemeindebauten in Wiener Gemeindebauten?
Gaal: Wien ist eine der sichersten Großstädte der Welt. Aber auch bei uns gibt es Kriminalität. Und wo sich Menschen nicht sicher fühlen, werde ich in meinen Bereichen Lösungen finden. . Wenn jemand durchdreht, ist das aber auch mit den besten Maßnahmen nicht immer verhinderbar oder irgendwie steuerbar. Prävention und die unmittelbare Sicherheit im Wohnbau sind wichtig. Das ist bei der Planung wichtig, bei bestehenden Wohnbauten muss man oft nachschärfen. In diesem Bereich setze ich einen Schwerpunkt. Man kann natürlich immer mehr Wohnpartner und Co als Konfliktmanager im Einsatz haben. Aber die Wohnpartner und die Ordnungsberater leisten jetzt schon sehr gute Arbeit. Wir müssen auch genau nachschauen, wo wir neue Wege gehen können.
ÖSTERREICH: Wie vermeidet Wien die Ghettobildung?
Gaal: 62 Prozent der Wienerinnen und Wiener leben in geförderten Wohnbauten. Das ist finanziell die größte Mittelstandsförderung überhaupt - weshalb ich auch gegen Gehaltschecks zehn Jahre nach dem Einzug oder wann immer bin. Dass man aus der Adresse eines Wieners nicht sofort schließen kann, was er verdient oder arbeitet, zeichnet Wien aus - im Gegensatz zu anderen EU-Städten haben wir eben keine Ghettos. Die soziale Durchmischung ist unglaublich wichtig.
ÖSTERREICH: Der Wien-Bonus bleibt oder wird ausgebaut?
Gaal: Der hat sich bewährt. Ich habe einige Ideen, wie das ausgebaut wird und die ich in Kürze präsentieren werde.
ÖSTERREICH: Sie sind auch die Vorsitzende der größten SPÖ-Bezirksorganisation Favoriten. Ist die Wiener SPÖ nach den Konflikten um Michael Häupls Nachfolge schon wieder halbwegs fit für einen Wahlkampf?
Gaal: Mein Bezirk und auch ich haben Michael Ludwig unterstützt. Es war eine intensive aber sehr vorbildhafte Diskussion, die demokratiepolitisch in der SPÖ sehr wichtig war. Dann gab es ein deutliches Votum. Und es war immer klar, dass alle hinter der Entscheidung, die dann fällt, stehen werden. Das ist auch eingetreten, weil es um die Wahl 2020 geht. Das wissen alle, dass wir da nur gemeinsam gewinnen können.
ÖSTERREICH: Ist eine Vorverlegung der Wien-Wahl denkbar?
Gaal: Wir haben einen Koalitionspakt bis 2020. Ich gehe davon aus, dass sich alle Beteiligten daran halten wollen.
ÖSTERREICH: Wird nach der nächsten Wien-Wahl Rot-Grün beendet?
Gaal: Zuerst entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Dann werden wir weiter sehen. Ich schaue da in keine Glaskugel.
Interview: Josef Galley