Ein Kommentar zur US-Wahl von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.
Das Rennen um die US-Wahl ist gelaufen. Nach Auszählung von 99 % der Stimmen ist Joe Biden nach jeder Logik der neue 46. Präsident der „Unvereinigten Staaten“ von Amerika. Er wird ein Land führen müssen, das so gespalten ist wie nie zuvor, in dem ideologischer Hass regiert – eine neue Feindschaft, die Familien, Freundeskreise und Arbeitskollegen spaltet.
Joe Biden hat Trump auf den letzten Metern, als lange nach Wahlschluss noch Briefwahlstimmen und „Early Votes“ ausgezählt wurden, gedemütigt. Er hat mit Georgia, Pennsylvania, Wisconsin, Arizona die Trump-Hochburgen der letzten Wahl „umgedreht“. Und er hat damit die Verschwörungs-Theorien der Trump-Anhänger befeuert.
Trump hat Briefwahl-Boom vollkommen verschlafen
Trump hat die Briefwahl-Offensive der Demokraten verschlafen, war bei der umstrittenen Briefwahl und den „Early Votes“ zu wenig offensiv – und das hat ihn das Amt gekostet.
Bei der eigentlichen Stimmabgabe am Wahltag war Donald Trump übrigens viel besser als erwartet. Er gewann vermutlich sogar mit mehr als 10 % Vorsprung – doch das alles war zu wenig. Trumps Niederlage wurde also von den Early Votern und den Briefwählern besiegelt.
Die Briefwähler waren primär ältere Bürger, die stark von der Angst vor Corona geprägt sind. Die Early Voter, die ihre Stimme in der Woche vor der Wahl abgegeben haben, waren junge Wähler, schwarze Wähler und vor allem Frauen. Ihnen war Trump zu (rechts-)radikal, zu frauenfeindlich und generell zu vulgär und verrückt.
Trump versuchte mit seiner Basis – den weißen Männern, den Arbeitern, den Farmern im Heartland und erstmals auch mit den konservativen Latinos (etwa in Florida) – dagegenzuhalten.
Aber die Frauen haben Trump aus dem Amt gejagt – was zeigt: Frauen sind dort, wo sie massiv wählen gehen, die neue, entscheidende Kraft.
Joe Biden wurde nicht wegen seiner Attraktivität und schon gar nicht wegen seinem Programm oder seiner Zukunfts-Visionen gewählt – sondern als Anti-Trump. Diese Wahl war eine simple Entscheidung für oder gegen Donald – die Trump-Gegner haben knapp mit 51 % zu 49 % gewonnen.
Biden ist mit 78 Jahren der älteste Präsident, den die USA je hatten – ein liebenswerter Opa, der garantiert nicht twittert, schon gar nicht im Affekt.
Für Österreich ist Biden ein Segen. Er schätzt Europa, ist ein Fan von Angela Merkel.
Wird Trump das Weiße Haus freiwillig räumen?
Ob ihm das gelingt, ist allerdings fraglich. Denn vorerst wird Biden als Präsident eine „lame duck“, eine lahme Ente sein. Nur wenn er die Stichwahlen für zwei Senatssitze in Georgia im Jänner gewinnt, kann er „seine“ Gesetze im Senat durchbringen. Bleibt der Senat republikanisch, wird alles blockiert.
Es wird noch Wochen dauern, bevor feststeht, ob Biden überhaupt ins Weiße Haus einziehen darf. Trump wird in all jenen Staaten, in denen er erst nach Wahlschluss besiegt wurde, klagen – von Georgia bis Pennsylvania, von Wisconsin bis Arizona.
Wenn einzelne, den Republikanern nahestehende Gerichte aber die Wahl-Ergebnisse aufheben, sie sogar für rechtswidrig erklären, dann kann der Plan von Trump aufgehen: Er will die Entscheidung über die Rechtsgültigkeit dieser Wahl bis zum Supreme Court treiben. Und diesen hat er im letzten Monat mit einer klaren Trump-Mehrheit neu besetzt.
Wenn der Supreme Court aber die Ergebnisse einzelner Staaten für ungültig erklärt, dann kann Trump im Extremfall Präsident bleiben, vielleicht die Wahl neu ausschreiben – und das ohne Briefwahl-Stimmen.
„Der Hausbesetzer“ titelt der Spiegel bereits morgen, zeigt Trump mit einem Schießgewehr im Oval Office und orakelt: „Freiwillig wird Trump das Weiße Haus nicht verlassen …“