Bierhoff sieht "keine Übermannschaft"

Deutsche wollen nichts von Favoritenrolle wissen

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Deutschland schiebt kurz vor WM-Start die Favoritenrolle von sich weg. Auch wenn DFB-Sportboss Oliver Bierhoff im Turnier keine Übermannschaft sieht.

Zwischen den ersten beiden schweißtreibenden Einheiten der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Al-Shamal demonstrierten Goalie Manuel Neuer und Youssoufa Moukoko eine Mischung aus Konzentration und Optimismus. Diese hatte Bierhoff vor dem Auftaktspiel gegen Japan am Mittwoch kurz zuvor eingefordert. "Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass das ein harter Kampf sein wird. Es wird keine Zauberei sein", lautete Bierhoffs WM-Prophezeiung.

"Wir sind gewarnt, von der ersten Minute an voll fokussiert zu sein. Dann ist mit der Mannschaft alles möglich", sagte der 54-Jährige. Die deutsche Mannschaft ist für Bierhoff in Katar "nicht der Turnierfavorit", aber dennoch ein Kandidat für den Titelgewinn. Themen abseits des Sports, wie die Debatte um die One-Love-Kapitänsbinde von Neuer oder erst recht das Bierverbot der katarischen Gastgeber für Fans in den WM-Stadien sollen jetzt nicht ablenken.

Wie wichtig ein erfolgreicher Turnierstart ist, machte Neuer vor seiner vierten WM klar. Bei einem Erfolg könne man als Team "in einen Flow" kommen, wie beim 4:0 gegen Portugal vor dem Titelgewinn 2014. Das Gegenbeispiel sei das 0:1 gegen Mexiko vor vier Jahren in Russland gewesen. Damals schied die DFB-Elf nach der Gruppenphase aus - eine historische Blamage.

Sorge um Sturm-Hoffnung Füllkrug

Positive Signale gaben am Samstag Thomas Müller und Antonio Rüdiger. Die zuletzt verletzt pausierenden Leistungsträger konnten das erste Mannschaftstraining voll absolvieren. Konkrete Prognosen waren nach der ersten großen Belastung noch schwierig. Wochenlang hatten der Bayern-Routinier und der Real-Abwehrhüne wegen muskulärer Probleme und Hüftbeschwerden nicht spielen können. Für Teamchef Hansi Flick sind sie entscheidende WM-Bausteine.

Ein neues Fragezeichen bedeutete der Trainingsausfall von Mittelstürmer Niclas Füllkrug wegen eines grippalen Infekts. Bierhoff gab aber indirekt Entwarnung. "Man kann keine genaue Prognose machen", sagte er mit Blick auf das erste Gruppenspiel. Die DFB-Mediziner glaubten aber, dass die Zeit reichen werde, damit der 29-Jährige nach seinem Siegtor zum 1:0 im letzten WM-Test im Oman auch zum WM-Auftakt bereitsteht.

Bierhoff sieht für Flick alle Möglichkeiten bei der Aufstellung. "Es wäre schlimm, wenn Hansi keine Optionen hätte, das würde mir eher Kopfzerbrechen bereiten", sagte Bierhoff. Den Kern der Startelf habe der Bundestrainer schon im Kopf.

Moukoko bekommt kalorienarme Torte zum 18er

Gesucht wird weiterhin der Kandidat für die Position im Sturmzentrum. Der 33-jährige Müller wäre mit der Erfahrung von zehn WM-Toren seit 2010 - in Topform - eine verheißungsvolle Option. Kein in Katar vertretener Spieler hat bei WM-Endrunden häufiger getroffen als der Münchner.

Müllers Körpersprache deutete auf die notwendige Belastbarkeit hin. Voller Tatendrang nahm er Moukoko huckepack. "Ich lerne von den Besten hier", sagte der Dortmunder, der am Sonntag als jüngster deutscher WM-Teilnehmer seinen 18. Geburtstag in ungewöhnlicher Umgebung im Luxus-Hotel an der Nordspitze Katars feiern wird. "Drei Punkte gegen Japan, das erste WM-Spiel ist ganz wichtig", lautete sein größter Geburtstagswunsch.

Bierhoff kündigte für Moukoko als Präsent nur eine selbstverständlich kalorienarme Torte von DFB-Koch Anton Schmaus und ein Ständchen von den Kollegen an. "Die Party machen wir dann gerne nach einem gewonnenen Spiel."

DFB-Elf läuft mit "One-Love-Schleif" auf und nimmt Strafe in Kauf

Abgesehen von einer möglichen Partystimmung war auch wieder die Kapitänsschleife ein Thema. Neuer will ungeachtet möglicher Sanktionen durch die FIFA gegen Japan die Binde mit dem One-Love-Symbol tragen. Auf eine entsprechende Frage antwortete der Bayyern-Profi kurz und bündig: "Ja." Bierhoff reagierte erstaunt auf am Samstag von der FIFA vorgestellte alternative Aufdrucke für die Spielführerbinden mit gesellschaftlichen Botschaften. "Ich habe auch das eine oder andere gehört. Natürlich ist die Kurzfristigkeit überraschend. Es wirkt, als ob die FIFA keine klare Haltung hat", sagte Bierhoff.

Der DFB hatte im September verkündet, gemeinsam mit anderen großen Fußball-Nationen wie England oder den Niederlanden die Kapitänsbinde bei der WM als Symbol für Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit zu tragen. WM-Gastgeber Katar steht wegen der Missachtung von Menschenrechtsstandards in der Kritik. Die FIFA stellte am Samstag mehrere eigene Optionen für Spielführerbinden vor, zum Beispiel mit Slogans wie "#SaveThePlanet" oder #NoDiscrimination".

Bierhoff kündigte an, dass man sich mit den anderen Nationen weiter abstimmen wolle. "Wir gehen davon aus, dass wir die Binde weiter tragen dürfen", sagte der 54-Jährige. Die FIFA hat die One-Love-Binde bisher nicht verboten. Politische Äußerungen sind laut Statuten untersagt. DFB-Präsident Bernd Neuendorf hatte am Freitag klargemacht, an der Aktion auch festzuhalten, wenn eine Geldstrafe als Sanktion verhängt werde. Neuer betonte die Bedeutung einer gemeinsamen Aktion mit anderen Teams. "Es ist gut, dass wir die Power haben mit anderen Nationen im Westen von Europa", sagte der 36-Jährige. "Es ist gut, dass wir nicht alleine dastehen." Er habe keine Angst, die One-Love-Binde zu tragen.
 

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