Wahl-Analyse

Bilanz eines seltsamen Wahlkampfs

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Dieser Wahlkampf hatte außerordentliche Eigenheiten aufzuweisen. 

Der Wahlkampf 2019 war von vielen Eigenheiten geprägt. Worum geht’s jetzt im Finale? Was hat diesen Wahlkampf so besonders gemacht? 

Dieser Wahlkampf hatte außerordentliche Eigenheiten aufzuweisen.

1. Riesenvorsprung. Noch nie ist eine Partei so weit, mit so einem großen Vorsprung zum Zweiten, vorne gelegen. Es hat also erstmals kein Kanzlerduell gegeben, sondern nur ein Rennen um den zweiten Platz.

2. „Alle gegen Kurz“. Das große Paradoxon dieses Wahlkampfs. Auf der einen Seite bekämpfen alle Kurz, auf der anderen wollen alle nach der Wahl mit ihm regieren.

3. Kaum Sachthemen. Es hat nur ganz wenige Sachthemen gegeben wie den Klimawandel und in dessen Konsequenz die Diskussion über die CO2-Steuer. Dafür ist viel über Parteienfinanzierung und Koalitionsvarianten ­gestritten worden.

Das Überraschendste für mich war, dass Ibiza praktisch kein Thema war. Das Video war immerhin der Auslöser für die Wahl, aber mittlerweile ist es fast vergessen und wird gar nicht mehr thematisiert – vor allem inhaltlich. Das war meiner Meinung nach ein großer Fehler aller Parteien – natürlich außer den Freiheitlichen. Anfangs haben sich alle darüber aufgeregt, welche Schweinereien da angesprochen wurden – Verkauf des Wassers, Kauf einer Zeitung, Einflussnahme auf öffentliche Aufträge – das alles ­ist schnell wieder verschwunden und wurde nie wieder aufgegriffen.

4. Fokus auf Spitzenkandidaten. Noch nie ist meiner Meinung nach so sehr allein auf die Spitzenkandidaten gesetzt worden wie diesmal. Nur sie wurden beworben – es gab also eine ganz starke Personalisierung. Die Ausnahme ist die FPÖ, die auch Kickl vorkommen lässt.

5. Reiner Medienwahlkampf. Von Beginn an war es ein ­reiner Medienwahlkampf. Nicht nur, dass es fast täglich TV-Debatten gibt, auch die Themen wurden nicht von den Parteien, sondern von den Medien aufs Tapet ­gebracht.

In diesem Medienwahlkampf haben sich die Kandidaten aber nicht viel einfallen lassen. Früher hat man sich vorbereitet, wo man Aufreger platzieren kann. Diesmal ist da nichts gekommen. Die Parteien haben ihre Programme abgespult – Wahlkampf in der Endlosschleife. Es ging bei allen primär um die Kernwähler.

Worum es in der letzten Wahlkampf-Woche geht

Eine Dramatisierung in den letzten Tagen wird nötig sein. Ein Thema zeichnet sich auch schon ab, es könnte das Asylthema sein, das noch hochkommt. Die Parteien werden noch einmal alles mobilisieren, Telefonaktionen, Hausbesuche durch Funktionäre und Sympathisanten, Straßenverteilungen. Und es wird zu Demobilisierung der Gegner kommen. Beispiel: Man wird auf der linken Seite den Wählern einreden, die Liste Jetzt hätte eh keine Chance, reinzukommen. Eine Stimme für sie wäre verloren.

Kurz wird sich stärker in der Kanzlerrolle präsentieren, weil das auch in den Elefantenrunden besser funktioniert. Er bleibt nicht auf der österreichischen Themenebene, er wird internationale Themen ansprechen. Er wird versuchen, die Kanzlerrolle, die „unique“ für ihn ist, sichtbar zu machen.

Die Ausgangssituation der Parteien im Finale

  • Die ÖVP tritt als Titelverteidigerin an, war aber bisher viel zu defensiv. Sie hat sich viel mit Themen, die ihr von den anderen aufoktroyiert wurden, beschäftigen müssen.

Kurz hat aber in den Bundesländern sehr viel Zulauf – dort lässt man sich von den Themen nicht beeindrucken, die in Wien produziert werden. Die Wahlkampagne ist gut, weil sie positiv ist und einen Kontrapunkt setzt zu den aufgezwungenen unangenehmen Themen. Insofern ist sie gut konzipiert.

Der Comeback-Wahlkampf des Sebastian Kurz ist gut umgesetzt. Motto: Wir wollen ihn als Kanzler wieder – da ist Emotion drin in den Plakaten. 

  • Die SPÖ hatte einen relativ schwachen Start. Spitzenkandidatin Rendi-Wagner hatte ihr 3D-Problem mit Doskozil, Drozda und Dornauer, die ihr dauernd dreingepfuscht haben. Aber sie ist dann zunehmend besser und sicherer geworden. Ihr ganzer Auftritt ist selbstbewusster geworden – auch argumentativ hat sie sich gesteigert. Sie hat sich von ihren Leuten emanzipiert.

Die Kampagne halte ich nicht für besonders gelungen, aber sie hat einiges wettgemacht im Lauf des Wahlkampfs.

  • Bei der FPÖ hat die Doppelstrategie Hofer-Kickl offensichtlich gut funktioniert. Die sprechen die beiden FPÖ-Wählersegmente durchaus an auf ihre unterschiedliche Art und Weise. Man hat das Gefühl: Ibiza – war da was? Sie haben den Strache relativ schnell und gut versteckt, damit da keine Quertreibereien kommen. Von den Umfragen halten sie sich relativ stabil und fallen nicht ins Bodenlose, wie man nach dem Ibiza-Video vermutet hätte.
  • Die Grünen machen wie Kurz einen gelungenen Comeback-Wahlkampf und sie profitieren vom Konjunkturthema Klimawandel.

Wegen ihrer Kampagne werden die Grünen nicht gewählt werden. Ich finde die Plakate komplett unlesbar, beim Vorbeifahren nehme ich da nichts mit. Aber sie sind einfach anders, mit ihren knalligen Farben, und das ist wieder stimmig.

  • Die Neos sind bei ihren Plakaten weit besser. Man kann sie auch eindeutig zuordnen. Man weiß: Das ist ein Neos-Plakat. Die haben von Anfang an auf Sachargumente gesetzt. Die Kampagne ist solide, wenngleich nicht besonders ­pushy. Das Auffallendste sind die Auftritte von Meinl-Reisinger. Sie argumentiert mit viel Selbstbewusstsein und nicht ernst und bieder, sondern mit ­Humor – ähnlich wie der Kogler.
  • Die Liste Jetzt hat meiner Meinung nach keine Chance. Peter Pilz ist auch nicht wirklich präsent, es gibt keinen Grund, warum man ihn wählen soll. Sogar das Kontrollthema haben die Neos besser gespielt.

Heidi Glück

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