Lampedusa

700 Tote: Flüchtlings-Drama im Mittelmeer

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Massentod im Mittelmeer: 700 neue Opfer klagen an. Sie ertranken bei Flucht nach Europa.

Weltweit blankes Entsetzen über die bisher größte Flüchtlings-Tragödie im Mittelmeer – das dritte Drama innerhalb von nur einer Woche: Ein 20 Meter langes, heillos überfülltes Fischerboot geriet in der Nacht auf Sonntag in Seenot. Nur 60 Kilometer vor der libyschen Küste.

Flüchtlinge brachten bei Rettung Schiff zum Kippen

Der Kapitän des portugiesischen Frachters King Jacob hörte die Notrufe zwar. Doch als die Retter eintrafen, drängten sich die Flüchtlinge auf eine Seite ihres Schiffes. „Das brachte das Boot wohl zum Kentern“, schildert UNHCR-Sprecherin Carlotta Sami.

Hunderte stürzen ins Meer. Frauen, Kinder, Ältere. Das Wasser hat nur 16 Grad. Die meisten Flüchtlinge konnten zudem nicht schwimmen. Sie ertranken in der stockfinsteren Nacht.

Nur 28 Personen konnten lebend geborgen werden. Die geschockte Besatzung der King Jacob berichtet von Dutzenden Leichen, die im Meer trieben.

Entsetzen. Damit starben ertranken vor Italien in den vergangenen zehn Tagen bereits mehr als 1.000 Flüchtlinge. Eine Horrorzahl. Giusi Nicolini, Bürgermeisterin der Flüchtlingsinsel Lampedusa, klagt: „Das Mittelmeer ist zum Friedhof geworden, Italien wird sich selbst überlassen.“

Caritas-Chef Michael Lan­dau und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) fordern ­deshalb sofortige Reaktionen (siehe rechts). Für heute, Montag, ab 18 Uhr, ist auch eine Mahnwache auf dem Wiener Minoritenplatz in Wien geplant.

Leid ohne Ende
Erst am 12. April waren 400 Flüchtlinge ertrunken. Heinz Patzelt von Amnesty International fordert massiven Einsatz aller EU-Staaten: „Es ist barbarisch, nur zuzusehen. Wird nicht reagiert, wird das Mittelmeer zu einem Kinder-Massengrab.“

Gerettete nicht nach Europa bringen?

Mikl: »UN-Zentren für Asyl in Afrika«

ÖSTERREICH: Was sagen Sie zu dem schrecklichen Unglück im Mittelmeer?

JohannA Mikl-Leitner: Das Sterben im Mittelmeer muss ein Ende haben. Es ist jetzt wirklich höchste Zeit, dass die EU-Kommission Gespräche mit den nordafrikanischen Ländern startet. Wir haben ja bereits ein Projekt, „Leben retten“, auf den Tisch gelegt.

ÖSTERREICH: Was planen Sie konkret?

JohannA Mikl-Leitner: Die Todesfahrten der Schleppermafia beendet man nur durch den Aufbau sicherer UNHCR-Zentren in Nordafrika. Dorthin sollten die Flüchtlinge nach ihrer Rettung gebracht werden. Dort kann eine Erstprüfung gemacht werden. Erst wenn vom UNHCR die Chance auf Asyl attestiert wird, soll es nach Europa gehen. Damit wäre die Schleppermafia mit einem Schlag am Ende.

ÖSTERREICH: Und dann?

JohannA Mikl-Leitner:  Klar ist auch, dass die Schieflage innerhalb Europas beendet werden muss. Die Asylwerber müssen gerecht auf alle Länder verteilt werden.

Caritas-Chef im ÖSTERREICH-Interview

Landau: »Eine Schande«

ÖSTERREICH: Was geht in Ihnen nach der Tragödie vor?

Michael Landau: Es macht sprachlos, aber zu schweigen wäre falsch. Wenn die EU die Festung Europa aufrüstet, macht sie sich mitschuldig. Und wir tun es, wenn wir wegsehen.

ÖSTERREICH: Wie kann so etwas verhindert werden?

Michael Landau: Es braucht einen Beschluss aller EU-Staaten für die notwendigen Hilfs-Ressourcen. Europa sollte nicht nur in Grenzzäune investieren, sondern auch in Rettungsboote. Aber die Politiker haben aus Lampedusa nichts gelernt. Das massenweise Sterben im Mittelmeer wird einfach in Kauf genommen. Das ist eine Schande für die ganze Europäische Union.

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