Peking

China: Familie Chens bedroht?

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Blinder Dissident hat die US-Botschaft wieder verlassen.

Sechs Tage nach seiner dramatischen Flucht aus dem Hausarrest hat der blinde chinesische Dissident Chen Guangcheng die US-Botschaft in Peking wieder verlassen. Die Entscheidung des Anwalts sei nach Drohungen gegen dessen Familie gefallen, erklärte ein Unterstützer Chens am Mittwoch. Er widersprach damit sowohl den USA als auch China, die von einem freiwilligen Schritt gesprochen hatten. Nach Darstellung der USA rang Chen der Regierung in Peking sogar Konzessionen ab. China warf den USA Einmischung in seine inneren Angelegenheiten vor und warnte vor einer Wiederholung.

Chen, der dem größten Staatssicherheitsdienst der Welt entwischt war, verließ die US-Vertretung in Begleitung von Botschafter Gary Locke, der ihn in ein Krankenhaus brachte. US-Außenministerin Hillary Clinton, die wenige Stunden zuvor zu Konsultationen mit der chinesischen Führung in Peking eingetroffen war, äußerte sich zufrieden über den Ausgang der Affäre. Chen habe die Botschaft "gemäß seinem Wunsch und unserer Werte" verlassen. Dagegen erklärte der Präsident der texanischen Menschenrechtsgruppe ChinaAid, Bob Fu, die chinesische Führung habe Chens Familie "ernsthaft bedroht", sollte der Anwalt das "Angebot" ablehnen. Zeng Jinyan, die Frau des mit Chen befreundeten Bürgerrechtlers Hu Jia, sprach sogar von konkreten Drohungen gegen Chens Frau Yuan Weijing.

In einer ersten Reaktion zeigten sich die USA überrascht: Zu keinem Zeitpunkt habe ein US-Vertreter mit Chen über Drohungen gegen seine Frau oder Kinder gesprochen, erklärte das Außenministerium in Washington. Der US-Spitzendiplomat Kurt Campbell, der selbst in der Botschaft zugegen war, sagte, Chen sei aus freien Stücken gegangen - "er hat uns umarmt und allen gedankt".

Clinton erklärte, Chen habe "für seine Zukunft mehrere Vereinbarungen mit der chinesischen Regierung getroffen. Dazu gehört auch, in sicherer Umgebung Studien betreiben zu können." Den Worten müssten nun Taten folgen, und die USA würden Chens Schicksal und das seiner Familie aufmerksam verfolgen. Ein US-Regierungsvertreter ergänzte, der blinde Dissident wolle mit seinen Angehörigen in China bleiben. Chen wolle seine Frau und seine beiden Kinder im Krankenhaus treffen.

Das Tauziehen um Chen drohte die in dieser Woche geplanten Regierungskonsultationen zwischen den beiden Weltmächten zu belasten. Neben Clinton wird auch Finanzminister Timothy Geithner in Peking erwartet. Der Fall hätte auch Auswirkungen auf die Innenpolitik beider Länder haben können: US-Präsident Barack Obama kämpft um seine Wiederwahl im November. Die Republikaner könnten Obama vorwerfen, nicht genug für Chens Sicherheit zu tun. In China wiederum steht der kommunistischen Parteiführung ein tiefgreifender Wandel bevor, der von der Affäre um den geschassten Spitzenpolitiker Bo Xilai überschattet wird : Experten zufolge ist sich die Führung in Peking uneinig über die Behandlung Chens.

Die chinesische Führung reagierte verärgert über den Fall Chen. "Die Vorgehensweise der USA war eine Einmischung in chinesische Angelegenheiten, und das ist für China völlig inakzeptabel", erklärte das Außenministerium. China erwarte, dass sich die USA entschuldigten und den Fall genau untersuchten. Die Verantwortlichen müssten bestraft werden, und so ein Vorfall dürfe sich nicht wiederholen.

Chen ist einer von zahlreichen autodidaktischen Anwälten, die sich in China in Menschenrechtsfragen engagieren und Betroffene beraten. Er zog vor allem mit Kritik an der Ein-Kind-Politik den Zorn der chinesischen Führung auf sich. Chen war nach seinem Entweichen aus dem Hausarrest in der Provinz Shandong über Hunderte von Kilometern in die US-Botschaft geflohen.
 

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