In Österreich laut Anadolu 72,3 Prozent für den Amtsinhaber.
Nach seinem Wahlsieg in der Türkei kann Staatspräsident und AKP-Chef Recep Tayyip Erdogan mindestens fünf Jahre lang mit deutlich mehr Macht weiterregieren. Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, räumte am Montag in Ankara seine Niederlage ein. Die Präsidenten-und Parlamentswahlen vom Sonntag bezeichnete Ince dennoch als unfair.
Zugleich äußerte der Kandidat der Mitte-Links-Partei große Sorgen über die Zukunft des Landes. In der Türkei gebe es nun eine "Ein-Mann-Herrschaft" Erdogans. Internationale Wahlbeobachter kritisierten, die Kandidaten hätten bei den Wahlen nicht dieselben Chancen gehabt.
Unregelmäßigkeiten
Ince sagte, es habe Unregelmäßigkeiten gegeben, die das Wahlergebnis nicht aber entscheidend beeinflusst hätten. "Haben sie Stimmen gestohlen? Ja, bestimmt haben sie das. Aber haben sie zehn Millionen Stimmen gestohlen? Nein. Und ich erkenne das Wahlergebnis an." Erdogan kam nach Auszählung fast aller Stimmen auf 52,59 Prozent, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Ince gewann 30,64 Prozent. Die Differenz zwischen den beiden betrug knapp elf Millionen Stimmen. Die "Plattform für faire Wahlen" aus Wahlbeobachtern der türkischen Opposition kam auf ähnliche Ergebnisse.
Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Erdogan wird damit künftig Staats-und Regierungschef und ist mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Erdogan sagte bei seiner Siegesrede am frühen Montagmorgen in Ankara, es habe sich um Wahlen gehandelt, "die das künftige halbe Jahrhundert, die das Jahrhundert unseres Landes prägen werden".
Bei der Parlamentswahl kam das AKP-geführte Parteienbündnis nach Anadolu-Angaben auf deutlich mehr als 340 der 600 Sitze. Allein hätte die AKP die Mehrheit verloren. Der prokurdischen HDP gelang mit 11,7 Prozent der Wiedereinzug in die Nationalversammlung. Anadolu zufolge lag die Wahlbeteiligung in der Türkei bei gut 88 Prozent. Knapp 60 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen, mehr als drei Millionen davon leben im Ausland.
72,3% der Austro-Türken wählten Erdogan
In Österreich entfielen 72,3 Prozent der gültigen Stimmen für die türkische Präsidentschaftswahl auf Amtsinhaber Erdogan. Das waren 37.300 der 51.597 gültigen Stimmen, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu auf ihrer Webseite mitteilte. Erdogans wichtigstem Herausforderer Ince gaben demnach 8.600 Wähler (16,7 Prozent) ihre Stimme.
In Österreich lag die Wahlbeteiligung bei fast 49 Prozent, das entsprach 52.206 abgegebenen Stimmen bei 106.657 registrierten Wählern. Bei der parallel stattfindenden Parlamentswahl kam die AKP in Österreich laut Anadolu auf 62,5 Prozent, die HDP auf 11,8 Prozent, die CHP auf 11,4 Prozent und die MHP auf 8,9 Prozent.
Debatte über Ergebnis in Deutschland
Auch in Deutschland, wo nur etwa jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme abgab, erzielte Erdogan mit knapp 65 Prozent ein deutlich besseres Ergebnis als zu Hause. Der hohe Wahlsieg Erdogans in Deutschland löste dort eine neue Integrationsdebatte aus. Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte das Wahlverhalten der Türken in Deutschland am Montag scharf. "Die feiernden deutsch-türkischen Erdogan-Anhänger jubeln nicht nur ihrem Alleinherrscher zu, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Wie die AfD eben", sagte der Bundestagsabgeordnete in der Nacht auf Montag der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Das muss uns alle beschäftigen."
Union und FDP machten ebenfalls Versäumnisse bei der Integrationspolitik aus. Die Linke gab der deutschen Regierung eine Mitschuld an dem Wahlergebnis, weil sie Erdogan mit ihrer Außenpolitik gestärkt habe. Die Türkische Gemeinde warnte allerdings vor Pauschalkritik an den Erdogan-Wählern in Deutschland.
"Unfaire Wahl"
Die türkische Wahlkommission teilte am Montag mit, das amtliche Endergebnis der Präsidenten- und Parlamentswahlen werde am 5. Juli bekanntgegeben. Anadolu meldete, Erdogan solle voraussichtlich am 8. Juli vereidigt werden. Dann solle vermutlich auch das Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen.
Ince sagte am Montag: "Diese Wahl war, angefangen von der Art ihrer Ankündigung bis hin zur Verkündung der Ergebnisse, alles in allem eine unfaire Wahl." Das "neue Regime" sei eine große Gefahr für die Türkei. Eine Partei, "sogar eine einzige Person", sei Staat, Exekutive, Legislative und Justiz geworden. Er werde weiter kämpfen und aktiver Politiker bleiben.
Die Wahlkommission hatte Erdogan bereits in der Nacht auf Montag die absolute Mehrheit in der ersten Runde der Präsidentenwahl bescheinigt. Erdogan hatte die ursprünglich für November 2019 geplanten Wahlen um fast eineinhalb Jahre vorgezogen.
Ausnahmezustand
Die Wahlen am Sonntag fanden unter dem Ausnahmezustand statt. Die überwiegend regierungsnahen Medien hatten den Wahlkampf Erdogans ausführlich dokumentiert. Ince und andere Oppositionskandidaten bekamen dagegen deutlich weniger Raum. Der HDP-Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtas musste seinen Wahlkampf aus der Untersuchungshaft heraus führen. Erdogan hatte dennoch von einem "Fest der Demokratie" gesprochen.
Die Leiterin der Beobachterdelegation des Europarates (PACE), Olena Sotnyk, sagte am Montag in Ankara: "Leider hatten die Kandidaten nicht die gleichen Chancen." Der Ausnahmezustand habe mit seinen Restriktionen für Medien und die Versammlungsfreiheit den "Raum für demokratische Debatten beschränkt".
Die Chefin der Beobachter-Mission des OSZE-Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), Audrey Glover, hob hervor, dass vor allem im Südosten Wahllokale verlegt worden seien. Beobachter seien behindert und Wähler eingeschüchtert worden. "Die Wähler hatten eine echte Wahl, aber sie hatten es schwer, ihr Wahlrecht zu nutzen", sagte Glover. OSZE und PACE hatten insgesamt rund 330 Beobachter in der Türkei im Einsatz. Die Opposition hatte bei der Stimmenauszählung Manipulationsvorwürfe erhoben.
Präsidialsystem
Die Einführung des Präsidialsystems war Erdogans wichtigstes politisches Projekt. Die Opposition hatte die Rückkehr zum parlamentarischen System versprochen und wollte außerdem den Ausnahmezustand aufheben. Letzteres hatte Erdogan dann im Wahlkampf für den Fall seiner Wiederwahl ebenfalls zugesagt. Nach derzeitigem Stand läuft der Ausnahmezustand noch bis 19. Juli.
Die EU betonte nach den Wahlen ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Ankara. "Wir werden mit dem Präsidenten und dem Parlament zusammenarbeiten, um die vielen Herausforderungen anzugehen, die vor uns liegen", erklärten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn am Montag in einem Statement. Das Inkrafttreten eines neuen Präsidentschaftssystems in der Türkei habe weitreichende Folgen für die Demokratie und Gewaltenteilung, betonten sie und forderten die Türkei auf, dringend Mängel bei Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten zu beheben.
Merkel gratulierte
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte Erdogan zu dessen Wiederwahl. In ihrem Glückwunschschreiben verwies sie am Montag auf "eine langjährige Freundschaft" der beiden NATO-Partner und würdigte den türkischen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Zugleich sprach sie auch die innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei an. Deutschland wolle Partner einer stabilen und pluralistischen Türkei sein, "in der die demokratische Teilhabe und die Wahrung der rechtsstaatlichen Ordnung gestärkt werden".
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras gratulierte Erdogan ebenfalls zum Wahlsieg. In einem Telefonat hätten die Politiker vereinbart, sich am Rande des für Juli geplanten NATO-Gipfels in Brüssel zu treffen, teilte Tsipras' Büro mit. Die Beziehungen zwischen den beiden Ägäis-Staaten sind seit Monaten angespannt.
Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) hofft nach der Türkei-Wahl auf ein Ende der türkischen Blockade gegenüber Österreich im Rahmen der NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP). "Sehr zu begrüßen wäre eine Aufhebung des Ausnahmezustandes" in der Türkei, betonte Kneissl nach dem Treffen der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg außerdem. Dies wäre wichtig für die Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit.