Eklat im Mittelmeer: Türkei erzwang Abbruch von deutschem Einsatz

EU droht mit Strafe

Eklat im Mittelmeer: Türkei erzwang Abbruch von deutschem Einsatz

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Ankara geht erneut auf Konfrontationskurs zu Deutschland und EU.

Die Türkei provoziert trotz drohender Sanktionen neue schwere Spannungen mit Deutschland und der EU. Nach Angaben der Bundeswehr erzwang Ankara am Sonntag den Abbruch eines Einsatzes deutscher Marinesoldaten zur Kontrolle des UNO-Waffenembargos gegen Libyen. Aus dem Bundestag kam scharfe Kritik. In Brüssel wurde darauf hingewiesen, dass beim nächsten EU-Gipfel am 10. und 11. Dezember über mögliche weitere Strafmaßnahmen gegen die Türkei gesprochen werden soll.

Die Regierung in Ankara prangerte hingegen eine "heuchlerische und gesetzeswidrige Behandlung" von türkischen Frachtschiffen an, die nach Libyen unterwegs seien. Der Einsatz deutscher Soldaten sei "ohne Befugnis und mit Gewaltanwendung" durchgeführt worden und keinesfalls zu akzeptieren, hieß es am Montag aus dem Außenministerium in Ankara.

Bei dem Einsatz am Sonntagabend waren die deutschen Soldaten nach Angaben des Einsatzführungskommandos rund 200 Kilometer nördlich der libyschen Stadt Benghazi an Bord eines verdächtigen Frachtschiffes gegangen, um die Ladung zu kontrollieren. Einige Stunden später habe dann allerdings die Türkei als Flaggenstaat ein Veto gegen die Durchsuchung des Containerfrachters eingelegt. Die deutschen Soldaten mussten daraufhin den Einsatz abbrechen.

Die Besatzung des türkischen Containerschiffes habe sich während des ganzen Einsatzes kooperativ gezeigt, hieß es von der Einsatzführung. Die Besatzung des Frachtschiffes habe den deutschen Soldaten sogar ermöglicht, nach Abbruch der Durchsuchung noch bis zum Sonnenaufgang an Bord zu bleiben, um die Risiken einer nächtlichen Rückkehr zur Fregatte "Hamburg" zu vermeiden.

Ob das NATO-Land Türkei seine Veto-Möglichkeit gegen die Durchsuchung nutzte, weil die "Rosaline A" wirklich Waffen oder andere verbotene Güter an Bord hatte, blieb zunächst unklar. Denkbar wäre auch, dass sie lediglich noch einmal ihren Widerstand gegen die als parteiisch angesehene EU-Operation "Irini" zum Ausdruck bringen wollte, in deren Rahmen der Einsatz der Bundeswehrsoldaten erfolgte.

Dafür könnte auch sprechen, dass der Auftrag zum Boarding durch den griechischen Befehlshaber der Operation "Irini" gegeben wurde. Wegen türkischer Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer ist das Verhältnis zwischen Ankara und Athen derzeit äußerst angespannt. Griechenland hat zusammen mit Zypern auch dafür gesorgt, dass beim EU-Gipfel im Dezember weitere Sanktionen gegen die Türkei diskutiert werden sollen.

Nach Angaben des türkischen Außenministeriums hatte die "Rosaline A" lediglich Farbmaterial und Hilfsgüter geladen. Wegen des Einsatzes der deutschen Soldaten solle nun Entschädigung gefordert werden. Die gesamte Besatzung einschließlich des Kapitäns sei zwangsweise einer Leibesvisitation unterzogen worden. In einem von einer türkischen Nachrichtenwebsite veröffentlichten Video ist zu sehen, wie Boardingsoldaten ein Besatzungsmitglied eskortieren, das die Hände über den Kopf hält, und sich mit einem anderen Mann eine erregte Diskussion liefern.

Aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam wurde hingegen jegliche Kritik am Vorgehen der deutschen Soldaten zurückgewiesen. Das Boarding-Team habe jederzeit rechtmäßig und im Einklang mit den Regularien gehandelt, sagte ein Sprecher. Die Durchsuchung der Besatzung nach Waffen sei Teil des Standardverfahrens zum Eigenschutz der Soldaten.

Die Türkei war demnach auch über die Pläne für die Durchsuchung des Schiffes informiert. Erst, nachdem sie vier Stunden lang nicht reagiert hatte, wurde dies gemäß den Einsatzregeln als stillschweigendes Einverständnis für das Boarding gewertet.

Der Einsatz zur Waffenembargo-Kontrolle war von der EU gestartet worden, weil in Libyen seit dem Sturz des Langzeitherrschers Muammar Gaddafi im Jahr 2011 Bürgerkrieg herrscht. Die Regierungstruppen werden von der Türkei unterstützt, ihr Gegner, General Khalifa Haftar, von Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland. Zuletzt einigten sich die Konfliktparteien Ende Oktober auf einen Waffenstillstand. Ob er hält, gilt aber als unsicher.

Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritannien begrüßten unterdessen die Fortschritte der innerlibyschen Friedensgespräche, die einen Ausweg aus dem seit 2011 tobenden Bürgerkrieg in dem Land bringen sollen. Die von der UNO vermittelte Einigung auf einen Weg zu Wahlen Ende 2021 seien ein wichtiger Schritt im Friedensprozess, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert.

Die Länder drohten gleichzeitig allen Konfliktparteien mit Sanktionen, sollten diese den Friedensprozess in dem nordafrikanischen Land behindern. "Wir sind dazu bereit, Maßnahmen gegen diejenigen zu ergreifen, die das Libysche Politische Dialogforum und andere Stränge des Berliner Prozesses behindern", erklärten Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien am Montag gemeinsam.

Im September hatte die Besetzung der deutschen Fregatte "Hamburg" bei der Kontrolle eines aus den Vereinigten Arabischen Emiraten kommenden Tankschiffes unter das Waffenembargo fallendes Kerosin entdeckt. Zudem wurden zuletzt EU-Sanktionen gegen Unternehmen verhängt, die Schiffe, Flugzeuge oder andere Logistik für den Transport von Kriegsmaterial bereitgestellt haben. Konkret geht es um drei Firmen aus der Türkei, Jordanien und Kasachstan. Mit der Sanktionierung von Unternehmen aus mehreren Ländern wollte die EU auch deutlich machen, dass sie nicht, wie von der Türkei behauptet, nur Waffenlieferungen an die libysche Regierung verhindern will, nicht aber an den gegnerischen Milizenführer Haftar.

Für Deutschland, Frankreich und Italien ist eine Lösung des Libyen-Konflikts auch wichtig, weil die chaotischen Zustände das Geschäft von Schlepperbanden begünstigen, die Migranten illegal über das Mittelmeer nach Europa bringen.

Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die deutsche Rüstungsindustrie seit 2004 Kriegsschiffe oder Teile dafür im Wert von 1,5 Milliarden Euro in die Türkei exportiert hat.

Solche Rüstungslieferungen sind inzwischen wegen des Konflikts der NATO-Partner Griechenland und Türkei um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer höchst umstritten. Bisher unterbindet die deutsche Regierung nur den Export von Rüstungsgütern an die Türkei, die im Syrien-Krieg eingesetzt werden können. Güter für den "maritimen Bereich" werden aber weiter genehmigt und ausgeführt.

 

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