Ex-Kommissar Verheugen

EU steckt in Sinn- und Führungskrise

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WKÖ-Chef Leitl sorgt sich um die Wettbewerbsfähigkeit der EU.

Die Europäische Union befindet sich in einer Führungs- und in einer Sinnkrise. Zu diesem Schluss kam der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen am Mittwoch im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung über die Zukunft der EU im Haus der Europäischen Union in Wien. "Ich sehe niemanden unter den Führungskräften in Europa, die den Willen und die Kraft hätten, die Führung zu übernehmen", erklärte Verheugen.

Politiker schwächen Gemeinschaftsgedanken
Einerseits würde die derzeitige Generation von Politikern nicht weiter denken als bis zur nächsten Wahl, so Verheugen. Auf der anderen Seite würden sie immer öfter die Dinge untereinander ausmachen und dadurch den Gemeinschaftsgedanken schwächen, so der ehemalige deutsche Kommissar. Hinzu komme derzeit eine Sinnkrise, die aus dem Generationswechsel rühre: "In meiner Generation gab es keine Alternative zur EU, jetzt ist sie so selbstverständlich geworden," erklärte der frühere EU-Industriekommissar. Für die junge Generation brauche es daher neben dem Friedensprozess eine zusätzliche Begründung für die europäische Einigung, "und zwar, dass wir uns gemeinsam in einer neuen multipolaren Welt zurechtfinden müssen," so Verheugen.

Wirtschaftskammer-Bos Leitl: "EU Tritt verpassen"
Für Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl ist Europa "zwar kein Patient, der an den Tropf gehört, aber dem man einen Tritt verpassen muss, damit er im Wettbewerb mithalten kann." Denn die EU werde von den aufstrebenden Volkswirtschaften wie China oder Indien herausgefordert. Aber während diese auf die Podeste schielen würden, "schauen die Europäer stolz auf ihre Medaillen und sagen `Wir waren einmal gut," so Leitl. Er sprach sich dafür aus, der gegenwärtigen Krise unter dem Motto "niemand zu etwas zwingen, aber auch niemanden an etwas hindern" zu begegnen. So müsse man das Festhalten Großbritanniens am Status quo zwar akzeptieren, zugleich aber jenen Länder, die wollen, eine Stärkung und Vertiefung der Währungs- und Wirtschaftsunion ermöglichen.

Klaus Liebscher: "Politische Union nicht aus den Augen verlieren"
Dafür, die politische Union als Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, plädierte der frühere Gouverneur der österreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher. "Ich denke, die gut funktionierende Wirtschafts- und Währungsunion könnte der Nukleus für die Ausgestaltung einer politischen Union in Form eines Staatenbundes sein", so Liebscher. Der ehemalige OeNB-Gouverneur warnte zugleich vor einer zu raschen Erweiterung der Europäischen Union: "Die Bevölkerung benötigt wie ein Unternehmen nach einer Expansion eine Konsolidierungsphase, um die Entwicklung zu verdauen," so Liebscher.

Zukunftsforscher Horx: "Krise der Nationalstaaten schuld"
Zukunftsforscher Matthias Horx ortete das gegenwärtige Problem dagegen in einer Krise der Nationalstaaten. "Wir haben kein Europa-Problem, sondern das Problem, welche Rolle die Nationalstaaten in Zukunft haben werden", erklärte Horx. Die EU werde städtischer und der Nationalstaat als Zwischenbarriere funktionieren nicht mehr wirklich, so Horx. In seiner Utopie würden die Städte und Gemeinden in der zukünftigen Union eine größere Rolle spielen und der Nationalstaat "auf eine positive Weise verblassen", so der deutsche Forscher.

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