EU-Erweiterung

Fischler: Ukraine-Beitritt ohne EU-Agrarreform wäre "Katastrophe"

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Der frühere EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler warnt vor einem EU-Beitritt der Ukraine ohne grundlegende Reform der EU-Agrarpolitik 

. "Wenn das nicht passiert, dann ist das eine Katastrophe", sagte Fischler im APA-Interview. Es gebe nämlich Berechnungen, dass man in diesem Fall das EU-Agrarbudget verdoppeln müsste, um der Ukraine gerecht zu werden. Zudem brauche es Übergangsregelungen wegen der großen Preisdifferenzen bei einzelnen Agrarprodukten wie Getreide.

"Das bestehende System, wo jedes Hektar gleich viel Unterstützung bekommt, ist für die Zukunft nicht haltbar - mit oder ohne Ukraine", betonte Fischler. "Manche Marktstörungen in der jetzigen EU sind darauf zurückzuführen, dass es auf die Betriebe bezogen eine völlig asymmetrische Förderung gibt", sagte er mit Blick auf die hohen Förderbeträge für Großbetriebe.

Flächenprämien  abschaffen

"Meiner Meinung nach müsste man die Flächenprämien in der derzeitigen Form abschaffen und ein neues Konzept entwickeln", forderte Fischler eine tiefgreifende EU-Agrarreform. Schon im Zuge seiner vor der großen EU-Erweiterung 2004 beschlossenen Reform habe er eine Staffelung und Obergrenze für die flächenbezogenen Agrarzahlungen vorgeschlagen, doch seien damals v. a. Deutschland (wegen der großen Agrarbetriebe des früher kommunistischen Ostdeutschlands) und Großbritannien (wegen der adeligen Großgrundbesitzer) dagegen gewesen.

Nun müsse die EU-Kommission dieses Thema wieder angehen, ebenso wie die Vollendung des bei der Reform 2003 eingeführten Prinzips der "Entkoppelung" der Förderungen vom Aspekt der Produktion. "Genau die Teile der Reform, die ich damals nicht durchgebracht habe, sind jetzt das Problem". Fischler verwies auch auf die Aspekte Bodenwirtschaft und Viehwirtschaft, die aktuell noch nicht Teil der Bedingungen für EU-Agrarförderungen sind.

Fischler wies darauf hin, dass die von ihm skizzierte Reform österreichische Bauern verhältnismäßig weniger träfe. Österreich sei nämlich schon jetzt eines der wenigen Länder, in denen die Beträge für die flächenbezogenen Direktzahlungen ("erste Säule") weniger ausmachten als die Umwelt- oder Bergbauernförderungen ("zweite Säule"). EU-weit hingegen umfassen die Direktzahlungen zwei Drittel des EU-Agrarbudgets. Dieser Posten solle auch nicht ersatzlos gestrichen werden, sondern für die Abgeltung höherer Umweltleistungen oder für Sozialprogramme für kleine Betriebe verwendet werden. "Nachdem wir in Österreich überwiegend kleine Betriebe haben, würde das unterm Strich in Österreich kein großes Problem darstellen", so der frühere Landwirtschaftsminister, der in diesem Zusammenhang auch die Idee einer europaweiten Naturalschadenversicherung für Bauern äußerte.

Agrarpreisunterschiede  

Als "grundsätzlich lösbar" bezeichnete Fischler das Problem der Agrarpreisunterschiede zwischen der Ukraine und den EU-Staaten aber nur dann, wenn es lange Übergangsfristen gibt. "Erste Vorboten" des Problems hätten sich in Polen gezeigt. Dort wurde ukrainisches Getreide eingelagert, weil es auf dem Seeweg nicht zu den traditionellen Absatzmärkten im Nahen Osten gelangen konnte. In der Folge hätten die Händler den polnischen Bauern wesentlich niedrigere Preise geboten, was nahezu zu einem Aufstand geführt habe.

Solche Situationen habe man in der EU aber schon gehabt und gelöst, erinnerte Fischler an den EU-Beitritt von Spanien und Portugal im Jahr 1986. "Da hat man sehr lange Übergangsfristen vereinbart, sodass sich keine groben Marktverwerfungen ergeben haben", sagte der frühere EU-Kommissar. Weil etwa spanische Zitrusfrüchte nur schrittweise auf den europäischen Markt gekommen seien, habe Spanien auch seine Absatzmärkte außerhalb der EU behalten.

Fischler, der nach seiner Zeit als EU-Kommissar unter anderem als Berater für den damaligen Beitrittskandidaten Kroatien tätig war, glaubt nicht an eine rasche EU-Mitgliedschaft der Ukraine. "Realistischerweise muss man mit einer Dimension von 20 Jahren rechnen, bis eine volle Integration der Ukraine möglich ist", sagte er. "Aber sie brauchen ohnehin 20 Jahre, bis sie den Wiederaufbau geschafft haben." Dieser habe eine viel größere Priorität als die Frage der EU-Agrarzahlungen. In ländlichen Gebieten mangle es aber noch an grundlegender Infrastruktur wie etwa Internetleitungen, Straßen oder Abfall- und Abwasserentsorgungsanlagen. In den urbanen Zentren sei das Land aber schon sehr weit. "Ich bin immer wieder dort und staune, wie gut die Entwicklung ist", so Fischler.

(Das Interview führte Stefan Vospernik/APA)

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