Entscheidung

Heute Wahl: Schicksalstag für die Griechen

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Die Griechen stimmen heute über ihre und die Zukunft der Euro-Zone ab. 

38 Grad, perfektes Urlaubswetter, doch die Menschen in Athen zittern – und mit ihnen ganz Europa. Wieder wählt das Chaos-Land. Abermals steht ganz Europa auf dem Prüfstand. Spült die Wut der Griechen den jungen, smarten Demagogen Alexis Tsipras (37) an die Macht, Chef des Linksbündnisses SYRIZA, könnte das zum finanziellen Armageddon für die Eurozone werden.

Alexis Tsipras ist die Hoffnung der frustrierten Griechen. Er verspricht alles, will zwar das Geld der EU, „aber nicht um jeden Preis“. Zuletzt trommelte er im Wahlkampf: „Wir sagen Ja zur Eurozone, Ja zum Euro, aber nicht, wenn das Volks sich dafür beugen muss.“

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Hotel Mama
Eine, die Tsipras gut findet, ihn aber nicht wählen will, ist Tasia Livieratou: „So schlimme Zeiten habe ich noch nie erlebt. Selbst während der Militärdiktatur (1967 bis 1974) hatten wir immer Hoffnung, doch die ist jetzt verloren“, erzählt sie. Die 56-jährige Frau verkauft Schmuck in ihrem eigenen kleinen Geschäft in der Athener Altstadt.

Stolz berichtet sie, wie sie vor über 20 Jahren ihren kleinen Juwelierladen aufsperrte. Das Geschäft brummte, die Touristen kauften gerne und viel. Das sei jetzt vorbei. Leerstehende Geschäfte überall. Vernagelte Eingangsportale. Dazwischen Obdachlose, verschmierte Hauswände, spürbare Armut, Depression, sogar Selbstmorde aus Zukunftsangst: „Inzwischen hat nur noch mein Geschäft in dieser Gasse geöffnet“, sagt sie, „die leerstehenden Läden schrecken die Touristen ab“.

Sie kämpft gegen Tränen, erzählt, dass ihr Sohn wieder zu ihr ziehen musste: „Dimitri studierte Informatik, ich dachte immer, er wird keine Probleme haben, eine Arbeit zu finden.“

Aber Dimitri suchte zwei Jahre lang vergeblich einen Job, letztlich verlor er sogar alle staatlichen Unterstützungen. Jetzt muss er wieder bei seiner Mutter leben, sie selbst verdient aber immer weniger Geld.

Ihr Sohn wählt Alexis Tsipras, den Protesthelden. Sie will heute nicht wählen gehen, es habe keinen Sinn mehr, sagt sie: „Die Politiker haben die Zukunft der Jungen bereits verspielt.“

Hoffnung
Es gibt aber auch andere, jene, die für Europa kämpfen, an den Euro glauben. Paraskevas Christoforakis ist einer davon. Er will die Hoffnung noch nicht aufgeben. Der 35-Jährige hat vor drei Jahren selbst sein kleines Geschäft aufgebaut. Er verkauft Honig, Süßigkeiten und andere Spezialitäten aus der Region. Er wird die konservative Nea Dimokratia wählen, trotz aller Sparpakete: „Die Kur ist schmerzhaft, aber wir haben keine andere Wahl. Ohne das Sparpaket und die Hilfe Europas wären wir schon lange ruiniert“, sagt er.

Paraskevas hat viele Freunde, die meisten finden keinen Job, müssen sich zu sechst eine Zweier-WG teilen. Sonst könnten sie sich die Miete nicht leisten. Ob es nach der Wahl wieder besser werden könnte, fragen wir? Christoforakis zuckt die Schultern: „Wir können nur hoffen.“

Verarmt
Am zentralen Syntagma-Platz vor dem Athener Parlament lebt Kalliopi Charkianaki (36). In einem Zelt. Seit zwei Jahren wird hier regelmäßig demonstriert. Die McDonald’s-Filale wurde dabei mehr als ein Dutzend Mal verwüstet. Ebenso die zahlreichen, früher exklusiven Geschäfte in den umliegenden Seitenstraßen. Charkianaki verkauft selbst geflochtene Armbänder, ist obdachlos, nachdem sie Job und Wohnung verloren hat: „Ich war sieben Jahre lang Bäckerin, vor einem Jahr musste die Bäckerei zusperren.“

Arbeit findet sie seit 2011 keine, die Arbeitslosenhilfe wird immer weniger. „Schluss­endlich musste ich mich zwischen Wohnung und Verhungern entscheiden.“

Inzwischen ist auch der wichtigste Wirtschaftszweig Griechenlands eingebrochen – der Tourismus. Minus 30 Prozent, eine Katastrophe. Eine Million Menschen leben direkt oder indirekt von den Urlaubern, einer davon ist Michalis Minadakis, Hotelmanager. Er sagt: „Wir dürfen uns nicht von Europa abkapseln, wir sind ein Teil davon. Die Politik muss endlich einen Ausweg finden.“

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