Kalifat zerstört

IS besiegt: Droht nun eine neue Terror-Welle?

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Westen warnt nach Sieg über IS in Syrien vor anhaltender Bedrohung -

Nach dem Fall der letzten IS-Bastion in Syrien sieht der Westen die Gefahr durch die Jihadisten noch nicht gebannt. Die Regierungen in Berlin, Paris, London und Washington würdigten am Wochenende zwar den nach erbitterten Gefechten der kurdisch-arabischen Allianz SDF errungenen Sieg über die Jihadistenmiliz IS, warnten aber, dass die Bedrohung damit nicht vorbei sei.
 
Die syrischen Kurden forderten unterdessen die Rücknahme ausländischer IS-Kämpfer. Der IS hatte 2014 weite Teile Syriens und des Irak unter seine Kontrolle gebracht und ein "Kalifat" ausgerufen. In ihrer inoffiziellen Hauptstadt Raqqa in Nordsyrien und vielen anderen Gebieten errichteten die Jihadisten eine Schreckensherrschaft mit Enthauptungen, Steinigungen und der sexuellen Versklavung von Frauen.
 

Kalifat zerstört

Im Irak gilt der IS seit 2017 als besiegt. Am Samstag eroberten die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) den ostsyrischen Ort Baghouz - die letzte IS-Bastion in dem Land. Das vor knapp fünf Jahren vom IS ausgerufene "Kalifat" im Irak und Syrien sei nun "vollständig" beseitigt, sagte ein Sprecher der SDF, die bei den Kämpfen vom US-Militär aus der Luft unterstützt wurden.
 
Mit der Einnahme von Baghouz ist das "Kalifat" nun zwar Geschichte, die Jihadisten sind aber weiterhin in der Badia-Wüste präsent. In Syrien und im Irak verfügen sie überdies über zahlreiche Zellen, die immer wieder Anschläge verüben. Am Sonntag sprengten sich drei IS-Selbstmordattentäter im Nordirak in die Luft, wie die irakische Armee mitteilte. Opfer gab es nicht.
 

Globales Terrornetzwerk

International gibt es Befürchtungen, dass der IS nun im Untergrund ein globales Terrornetzwerk aufbauen könnte. Der SDF-Oberkommandierende Mazlum Kobane sagte bei einer Zeremonie bei Baghouz, der Kampf gegen die "Terroristen" gehe jetzt in eine neue Phase. Künftige Militäreinsätze würden sich gegen IS-Schläferzellen richten, "die eine große Bedrohung für unsere Region und die ganze Welt" seien. Ähnlich äußerte sich der US-Gesandte für die Anti-IS-Koalition, William Roebuck, bei der Zeremonie.
 
US-Präsident Donald Trump begrüßte das Ende des IS-"Kalifats", mahnte aber zugleich Wachsamkeit an. Die USA würden mit ihren "Partnern und Verbündeten weiter zusammenarbeiten, um radikale islamische Terroristen vollständig" zu besiegen.
 
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte, nach dem Fall von Baghouz sei zwar eine "große Gefahr" beseitigt. Auch er warnte aber vor der weiter bestehenden "Bedrohung". Die britische Premierministerin Theresa May würdigte den Sieg und lobte den Einsatz der Anti-IS-Truppen.
 
Der deutsche Außenminister Heiko Maas würdigte den Einsatz der Anti-IS-Koalition, doch gehe weiter eine "erhebliche Gefahr" vom IS aus, der seine Terroraktivitäten in Syrien und Irak "in den Untergrund" verlagere. Das Engagement der Anti-IS-Koalition gehe daher weiter.
 
NATO-Chef Jens Stoltenberg hob hervor, die NATO bleibe "dem gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus verpflichtet". Das Militärbündnis hatte der Anti-IS-Koalition Aufklärungsflugzeuge zur Verfügung gestellt.
 

Rückholung von IS-Kämpfern

Die syrischen Kurden forderten die Rückholung ausländischer IS-Kämpfer und ihrer Familien im Rahmen einer Koordinierung mit der internationalen Gemeinschaft. Die gefangen genommenen Jihadisten, Frauen und Kinder seien eine "ernste Last und Gefahr für uns", sagte der kurdische Vertreter für auswärtige Angelegenheiten, Abdel Karim Omar, am Sonntag der AFP.
 
Es gebe "tausende" gefangen genommene Kämpfer und deren Kinder und Frauen aus 54 Ländern - Iraker und Syrer nicht eingeschlossen. Tausende Kinder der Kämpfer seien mit der IS-Ideologie erzogen worden. Wenn diese nicht umerzogen und in die Ursprungsgesellschaften integriert würden, seien sie "potenzielle zukünftige Terroristen".
 
Der Umgang mit den ausländischen IS-Kämpfern bereitet zahlreichen Ländern Kopfzerbrechen. Viele Staaten sind zögerlich, weil sie in ihnen ein Sicherheitsrisiko sehen. Einige Länder haben in Syrien gefangenen Jihadisten die Staatsbürgerschaft entzogen.
 
Die Ex-Chefanklägerin der UNO-Kriegsverbrechertribunale, Carla del Ponte, sprach sich dafür aus, einen internationalen Gerichtshof mit Sitz in einem Nachbarland Syriens zu gründen. Dort sollte auch über europäische IS-Kämpfer verhandelt werden. Ein solches Gericht könnte "zum Beispiel in Jordanien, in der Türkei oder im Libanon" ansässig sein, meinte Del Ponte im Interview mit der "Presse am Sonntag".
 
"Es wäre natürlich besser, wenn man sie in Syrien vor Gericht stellen könnte. Aber dort existiert kein Justizapparat mehr", so Del Ponte. "Das Tribunal könnte all diese schweren Verbrechen ahnden und Täter vor Gericht stellen - die Staaten wären von der Gefahr der 'Foreign Fighters' befreit."
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