Schlange 1 km lang

Polen warten 10 Stunden für Präsidenten

Teilen

Proteste gibt es zur geplanten letzten Ruhestätte von Lech Kaczynski.

Nach dem Unfalltod des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski gibt es Streit um seine letzte Ruhestätte. Während in Warschau am Mittwoch erneut unzählige Trauernde von Kaczynski und seiner Frau Maria Abschied nahmen und Blumen vor ihren Särgen niederlegten, gab es in Krakau (Krakow) Proteste gegen die geplante Beisetzung des Präsidentenpaares in der Kathedrale auf der Wawel-Burg. Ein neuer Präsident wird wahrscheinlich am 20. Juni gewählt.

Tusk erwies letzte Ehre
Vor dem Präsidentenpalast in der polnischen Hauptstadt, wo seit Dienstag die sterblichen Überreste von Kaczynski und seiner Frau Maria aufgebahrt sind, hatten auch in der Nacht und am Mittwochmorgen zahlreiche Menschen in der Kälte ausgeharrt, um dem Präsidentenpaar die letzte Ehre zu erweisen. Die Schlange war bis zu einem Kilometer lang, die Wartezeit betrug zehn Stunden. Viele Trauernde bekreuzigten sich vor den Särgen und legten Blumen nieder.

Auch Regierungschef Donald Tusk erwies Kaczynski und seiner Frau die letzte Ehre, indem er im Präsidentenpalast eine Totenwache hielt. Vize-Regierungschef Waldemar Pawlak und andere Kabinettsmitglieder begleiteten den Ministerpräsidenten. Tusk und Lech Kaczynski waren politische Gegner. Vor fünf Jahren hatten sich beide Politiker um das Präsidentenamt beworben.

Trauerzeremonie im Europaparlament
Kaczynski und seine Frau waren am Samstag auf dem Weg zu einer Gedenkfeier im westrussischen Katyn, wo im Zweiten Weltkrieg polnische Offiziere von den Sowjets bei einem Massaker getötet wurden, zusammen mit zahlreichen Mitgliedern der polnischen Führungselite bei einem Flugzeugabsturz in Smolensk ums Leben gekommen.

Papst Benedikt XVI. richtete sich bei seiner wöchentlichen Generalaudienz vor Tausenden von Pilgern auf dem Petersplatz an die Polen: "Möge euch die Botschaft von Ostern trösten!", sagte er. Das Europaparlament in Brüssel gedachte mit einer Trauerzeremonie der insgesamt 97 Toten. Geleitet wurde die Gedenkfeier, bei der die Namen aller Opfer verlesen wurden, von dem aus Polen stammenden Parlamentspräsidenten Jerzy Buzek, einem Freund Kaczynskis. An der Trauerfeier nahmen auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sowie mehrere andere Kommissare teil.

Proteste gegen Beisetzung
Am Sonntag soll das Präsidentenpaar in der Kathedrale auf der Wawel-Burg, der ehemaligen Residenz der polnischen Könige in Krakau, beigesetzt werden. An der Trauerfeier wollen auch zahlreiche ausländische Staatsgäste teilnehmen, darunter US-Präsident Barack Obama, der französische Staatschef Nicolas Sarkozy, Russlands Präsident Dmitri Medwedew und aus Deutschland Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Bundespräsident Horst Köhler. Aus Österreich kommt Bundespräsident Heinz Fischer, wie sein Sprecher Bruno Aigner sagte.

In Krakau protestierten am Dienstagabend Hunderte Menschen gegen die geplante Beisetzung in der berühmten Kathedrale neben Königen, Nationalhelden, Dichtern und Heiligen. "Ist er wirklich eines Königs würdig?", stand auf einem Schild, das die Demonstranten in die Höhe hielten. Einige skandierten "Nein zu Wawel" und forderten, das Präsidentenpaar stattdessen auf dem historischen Powazki-Friedhof in Warschau beizusetzen. Damit machten sie deutlich, wie umstritten der rechtskonservative Politiker zu Lebzeiten wegen seiner Amtsführung war. "Ich glaube, dass die Gesellschaft die Entscheidung mit Verständnis aufnehmen wird", hatte dagegen der Krakauer Erzbischof Kardinal Stanislaw Dziwisz bei der Bekanntgabe des Bestattungsortes noch gemeint.

Am 20. Juni wird neuer Staatschef gewählt
Der weltbekannte polnische Filmregisseur Andrzej Wajda sprach sich gegen eine Beisetzung im Wawel aus. "Lech Kaczynski war ein guter und bescheidener Mensch", schrieb Wajda in einem Brief, den die Zeitung "Gazeta Wyborcza" am Mittwoch auf ihrer Internetseite veröffentlichte. Es gebe allerdings keinen Grund, dass er die letzte Ruhe auf dem Wawel finden solle. Wajda warnte ausdrücklich vor Protesten und einer tiefen Spaltung der Nation. Der Regisseur rief die Krakauer Kirchenbehörden auf, diese "durchaus unglückliche" Entscheidung rückgängig zu machen.

Nach dem Unfalltod ihres Präsidenten werden die Polen voraussichtlich am 20. Juni einen neuen Staatschef wählen. Wie Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski am Mittwoch mitteilte, will er den Termin für die erste Runde der vorgezogenen Präsidentenwahl offiziell erst am Mittwoch kommender Woche bekanntgeben. Damit kämen die beiden von der Verfassung her noch möglichen Sonntage vor dem 20. Juni nicht mehr infrage.

Großteil der Opfer identifiziert
Vor allem die Opposition hat um einen späten Termin gebeten. Denn sowohl die rechtskonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) aus deren Reihen Lech Kaczynski stammte als auch das "Bündnis der demokratischen Linken" (SLD) verloren ihren erklärten Kandidaten für die Präsidentenwahl, die eigentlich im Herbst stattfinden sollte: Den Amtsinhaber, der wieder antreten wollte, und Jerzy Szmajdzinski. Für die rechtsliberale Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) soll Komorowski antreten, der als Parlamentspräsident nach Kaczynskis Tod kommissarisch die Amtsgeschäfte des Präsidenten übernommen hat.

Unterdessen wurde ein Großteil der 97 Opfer der Flugzeugkatastrophe identifiziert. Bisher habe die Identität von insgesamt 64 Toten geklärt werden können, sagte ein Sprecher des russischen Katastrophenschutzministeriums der Nachrichtenagentur ITAR-TASS. Nach polnischen Angaben sollten am Mittwoch die sterblichen Überreste weiterer 30 Opfer nach Warschau überführt werden.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.