Die Behörden räumten nur mit Verzögerung eine atomare Verstrahlung nach der Explosion auf Raketen-Testgelände ein.
Mit mehrtägiger Verzögerung haben die russischen Behörden Details zu dem atomaren Unfall preisgegeben, der sich auf einem Militärstützpunkt am Weißen Meer ereignet hat. Nach den am Wochenende vorliegenden Informationen kamen bei dem Vorfall am Donnerstag fünf, wenn nicht sieben Menschen ums Leben. Es gab außerdem eine atomare Verstrahlung von bis zu 2,0 Microsievert pro Stunde.
Auch nach der Veröffentlichung mehrerer Erklärungen vom Verteidigungsministerium, der Atombehörde Rosatom und der russischen Armee blieben einige Fragen ungeklärt. So stellten die Behörden nicht klar, ob die von Rosatom bestätigten fünf Todesfälle eigener Mitarbeiter um zwei Todesfälle von "Spezialisten" ergänzt werden müssen, die kurz nach dem Unglück von der Armee bekannt gegeben wurden. Außerdem gab es unterschiedliche Angaben zum Ausmaß der atomaren Verstrahlung - was in der betroffenen Region zu Panikkäufen von Jod-Tabletten führte.
Atom-Unfall erst am Samstag eingeräumt
Erst am Samstag wurde der atomare Charakter des Unglücks von den Moskauer Behörden eingeräumt. Rosatom teilte mit, seine Beschäftigten seien damit beauftragt gewesen, die "isotopische Energiequelle" für eine Rakete zu betreiben, die auf der Plattform getestet wurde. Dabei dürfte es sich nach Einschätzung von Jeffrey Lewis vom US-Institut für Internationale Studien in Middlebury um eine atomar betriebene Rakete von Typ 9M730 Burewestnik handeln. Diese Rakete, die im Februar erstmals vom russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgestellt wurde, wird im Nato-Jargon auch als SSC-X-9 Skyfall bezeichnet.
Verstrahlung über drei Mal so hoch als erlaubt
Das Unglück ereignete sich auf dem Testgelände Nyonoska, das rund 30 Kilometer von der Stadt Sewerodwinsk entfernt ist. Die Behörden in Sewerodwinsk stellten am Donnerstag zunächst die Information auf die städtische Homepage, dass "ein kurzer Anstieg des Strahlenniveaus" festgestellt worden sei. Diese Information wurde dann aber wieder gelöscht.
Am Wochenende erklärte Valentin Magomedow vom örtlichen Katastrophenschutz, die atomare Verstrahlung habe während einer halben Stunde bei 2,0 Microsievert gelegen. Der reguläre Höchstwert beträgt 0,6 Microsievert pro Stunde. Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte unter Berufung auf Mitarbeiter eines Atomforschungszentrums, die Verstrahlung habe länger als eine Stunde bei 2,0 Microsievert gelegen.
Panikkäufe von Jod-Präparaten
In der Stadt Sewerodwinsk, die 190.000 Einwohner hat, setzten am Freitag Panikkäufe von Jod-Präparaten ein. "In einer Stunde war der gesamte Vorrat ausverkauft", sagte die Apothekerin Jelena Warinskaja. Boris Schuikow vom Institut für Nuklearforschung in Moskau sagte, isotopische Energiequellen würden vor allem in der Raumfahrt genutzt und stellten für die Nutzer normalerweise keine Gefahr dar. Die von ihnen ausgehende Radioaktivität sei "absolut nicht vergleichbar mit der von ernsthaften Unfällen in Reaktoren".
In der früheren Sowjetunion ereignete sich 1986 das Atomunglück von Tschernobyl. Die Behörden versuchten damals, das Ausmaß der Katastrophe zu verschleiern, das sich als schwerster Atomunfall in der Geschichte herausstellte. 30 Menschen starben bei der Explosion in Tschernobyl, Hunderte an den Spätfolgen. In weiten Teilen der damaligen Sowjetunion und Europas wurde über längere Zeit erhöhte radioaktive Strahlung gemessen.