Weder CSU, noch CDU wollen ihre Koalition aufgeben und signalisieren Kompromissbereitschaft.
Kurz vor dem als letzte Einigungschance im deutschen Flüchtlingsstreit eingestuften erneuten Spitzentreffen von CDU und CSU haben beide Schwesterparteien Kompromissbereitschaft signalisiert. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: "Wir sind zu Kompromissen bereit, das muss man ja auch sein in der Politik."
Der CDU-Bundesvorstand erklärte: "Wir wünschen uns eine Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen." Nach der dramatischen Eskalation des Streits mit der Rücktrittsandrohung von CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer soll in dem Treffen ab 17 Uhr im Konrad-Adenauer-Haus doch noch versucht werden, eine Lösung zu finden.
Merkel mit von der Leyen, Kauder & Co.
CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel wird in das Treffen mit ihren Stellvertretern Julia Klöckner, Armin Laschet, Volker Bouffier, Ursula von der Leyen und Thomas Strobl sowie Unionsfraktionschef Volker Kauder und Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gehen.
In der CSU-Runde sitzen nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP neben Seehofer auch Ministerpräsident Söder, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Generalsekretär Markus Blume, der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer, Digital-Staatssekretärin Dorothee Bär und der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber.
Seehofer hatte nach einer stundenlangen Sitzung der CSU in München in der Nacht auf Montag zunächst seinen Rücktritt angeboten, ihn aber auf Drängen anderer CSU-Politiker zunächst wieder zurückgenommen. Er nannte eine neue Frist für eine mögliche Einigung mit der CDU bis zu seinem 69. Geburtstag am Mittwoch gesetzt.
Söder spekuliert auf Einigung
Söder widersprach dem Eindruck eines bevorstehenden Endes der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU. "Es gibt jetzt bei uns keinen Weg aus der Regierung hinaus oder eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft", sagte er bei einem Termin in Passau. Ein solcher Schritt würde dem Anliegen der CSU nicht "zur Stärke verhelfen, sondern eher schwächen".
Die CSU steht hinter der Forderung ihres Parteichefs Seehofer, bestimmte Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Bundeskanzlerin Merkel lehnt dies ab, sie wird dabei von ihrer Partei unterstützt. Bei der Abstimmung in der CSU-Spitze habe es eine Gegenstimme gegeben, berichtete der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Die Gegenstimme ist für Abstimmungen des CSU-Vorstands ungewöhnlich, üblicherweise werden dort alle Vorlagen mit voller Zustimmung bestätigt.
Mit seiner Rücktrittsankündigung habe Seehofer die Partei "sehr überrascht", sagte Söder. CSU-Vorstand und -Landesgruppe hätten ihn gebeten, dies zu überdenken und im Amt zu bleiben. Der frühere CSU-Chef Erwin Huber hält allerdings einen Rücktritt Seehofers nun für "unausweichlich", wie er dem Bayerischen Rundfunk sagte. "Das heißt, die CSU muss sich jetzt auf eine neue Konstellation und Spitze einstellen."
Bouffier nennt CSU-Forderungen "falsches Signal"
In der Sache gibt es vor dem Spitzengespräch allerdings keine Anzeichen für eine Annäherung. Der stellvertretende CDU-Chef Volker Bouffier sagte im Hessischen Rundfunk, die von der CSU geforderte Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge sei "das falsche Signal, wenn Deutschland ohne Abstimmung mit der EU eigene Maßnahmen umsetzt". Bouffier lobte ausdrücklich die Ergebnisse des EU-Gipfels zur Asylfrage in der vergangenen Woche: "Jetzt haben sich die EU-Länder in die richtige Richtung bewegt."
Angesichts der Zuspitzung zwischen CDU und CSU fordert die SPD noch am Montag einen Koalitionsgipfel bei Kanzlerin Merkel. "Die Zukunft der Regierung wird da besprochen", sagte SPD-Chefin Andrea Nahles nach einer Sitzung des Vorstands in Berlin. Es gebe keinen Automatismus, dass die SPD einen Kompromiss im Asylstreit zwischen CDU und CSU mittrage. "Die Union führt ein rücksichtsloses Drama auf." Gerade die CSU sei auf einem beispiellosen Ego-Trip. "So geht es nicht weiter." Noch stehe die SPD aber zu der Großen Koalition.
Umfrage: Zwei Drittel stehen hinter Merkel
Laut einer Umfrage unterstützen nur eine Minderheit der Deutschen das Auftreten der CSU im Asylstreit. In dem am Montag veröffentlichten "Trendbarometer" der Fernsehsender RTL und NTV halten zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) das Vorgehen der CSU und ihres Parteichefs für verantwortungslos. Zwei Drittel der Deutschen (69 Prozent) wollen wie Merkel eine europäische Lösung. Seehofer kann nicht einmal die Mehrheit der CSU-Anhänger überzeugen - jeweils knapp die Hälfte sind für Merkel (49 Prozent) und den Innenminister (48 Prozent). Alle anderen, bis auf die AfD, stützen mehrheitlich die Kanzlerin. Nur unter den AfD-Anhängern gibt es einen Mehrheit für Seehofers Forderung nach einer nationalen Lösung in der Flüchtlingspolitik (88 Prozent).
Der Asylstreit zeigt nach Ansicht von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass sich die "Migrationsdebatte massiv verändert" hat. "Die Jahre des Schönredens und der Durchhalteparolen sind vorbei", sagt Kurz im Ö1-Morgenjournal. Es habe ein Umdenken in der EU stattgefunden, dass es eine Lösung auf die Migrationsfrage brauche, die eine andere sei als die Verteilungsdiskussion. "Diese Debatte findet gerade in ganz Europa statt, in Deutschland führt sie sogar zu Spannungen oder vielleicht sogar zu einer Regierungskrise", sagt Kurz. Vorwürfe, dass sich Kurz im innerdeutschen Asylstreit auf die Seite der CSU gestellt habe, wies der Bundeskanzler zurück.
Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, appellierte indessen angesichts des deutschen Asylstreits, innenpolitische Spielchen "auf dem Rücken" der EU zu unterlassen. "Die deutsche Situation zeigt uns ja deutlich, wohin es führen kann, wenn innerparteiliche Richtungskämpfe, wenn parteitaktische Machtspiele die Innenpolitik bestimmen", erläuterte Karas am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien. "Die Europäische Union braucht eine handlungsfähige Republik Deutschland."