Liberale Allianz voran

Skandal-Wahlen in Libyen: Mann getötet

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Wahlbeteiligung bei knapp 60 Prozent - Wähler in Ajdabiya getötet.

Bei der Parlamentswahl in Libyen zeichnet sich ein deutlicher Vorsprung für die liberale Allianz von Mahmoud Jibril ab. Wahlbeobachter meldeten nach Wählerbefragungen, in der Hauptstadt Tripolis und in Benghazi habe die Allianz des ehemaligen Übergangsministerpräsidenten die meisten Stimmen erhalten. In der Allianz der Nationalen Kräfte sind mehr als 40 kleine Parteien zusammengeschlossen, die sich an dem Aufstand gegen Gaddafi beteiligten. Die Islamisten von der Muslimbruderschaft hätten den zweiten Platz belegt. Rund 60 Prozent der 2,8 Millionen registrierten Wähler hatten bei der ersten demokratischen Wahl seit Jahrzehnten am Samstag ihre Stimme abgegeben.

Ein Wähler wurde in Ajdabiya getötet. Einige Wahllokale im Osten blieben wegen Sicherheitsproblemen geschlossen. Die erste freie Parlamentswahl in Libyen nach Jahrzehnten der Gaddafi-Herrschaft ist vom Westen als Beginn einer neuen Ära begrüßt worden. US-Präsident Barack Obama sprach am Samstag von einem "Meilenstein" beim Übergang des nordafrikanischen Landes zur Demokratie. Die Wahl zeige, dass die Zukunft Libyens in der Hand des Volkes liege. Knapp neun Monate nach dem Tod Muammar al-Gaddafis wählten die Libyer ein Parlament, das eine neue Regierung benennen und die Bildung einer Verfassungskommission vorbereiten soll.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte, die Parlamentswahl markiere den "Beginn einer neuen demokratischen Ära". Die Libyer hätten in einem "Klima der Freiheit" gewählt. Der deutsche FDP-Europaabgeordnete und Leiter der EU-Mission in Libyen, Alexander Graf Lambsdorff, sieht in der Parlamentswahl am Samstag eine "historische Zäsur" für das nordafrikanische Land.

Einige gewaltsame Zwischenfälle taten der Erleichterung und Freude über den Verlauf der historischen Wahl keinen Abbruch. In der Hauptstadt Tripolis feierten die Menschen nach der Wahl am Samstagabend ausgelassen und zündeten ein Feuerwerk. Auch in der Heimatstadt Gaddafis, in Sirte, machte sich Erleichterung breit, dass die Wahl abgehalten werden konnte. Es hatte Befürchtungen gegeben, dass Unruhen den Wahlgang torpedieren könnten.

Rund 3.700 Kandidaten standen zur Wahl für den Einzug in eine 200 Mitglieder umfassende Parlamentsversammlung, die einen Ministerpräsidenten und ein Kabinett bestimmen und dann den Weg zu vollständigen Parlamentswahlen im nächsten Jahr ebnen soll. Zudem soll sie die Bestimmung eines verfassungsgebenden Gremiums vorbereiten.

In mehreren Wahllokalen kam es Samstag zu Zwischenfällen. In der östlichen Stadt Benghazi, wo der Protest gegen Gaddafi vor knapp einem Jahr begonnen hatte, stürmten Aufständische ein Wahllokal und verbrannten demonstrativ Hunderte Stimmzettel. Dort wurde ein Mann bei Zusammenstößen von Wahlgegnern und -befürwortern getötet. Auch andernorts wurden Wahlurnen geplündert und Stimmzettel geraubt. Mindestens vier Wahllokale waren betroffen. In der ebenfalls im Osten des Landes gelegenen Stadt Ajdabiya wurde ein Mann erschossen, als er Stimmzettel stehlen wollte.

Nach Angaben der Wahlkommission waren im Laufe des Samstags 98 Prozent der Lokale geöffnet, wenn auch nicht ununterbrochen. Auf die Frage, wann die Ergebnisse vorliegen würden, sagte der Vorsitzende der Wahlkommission Nuri Al-Abbar, sie würden ab Montag veröffentlicht. "Der erste Sieger ist aber das libysche Volk", sagte er.

In Tripolis verlief die Stimmabgabe ohne Probleme. Als am Morgen die erste Frau ihre Stimme in eine Urne warf, war aus dem umfunktionierten Schulgebäude "Allahu akbar" zur hören ("Gott ist groß"). Vielerorts war die Stimmung überschwänglich. Viele Libyer hatten Freudentränen in den Augen. "Ich kann das Gefühl gar nicht beschreiben. Wir haben den Preis dafür bezahlt, wir haben zwei Märtyrer in der Familie", sagte eine 50-jährige Lehrerin, die erstmals in ihrem Leben frei wählte. "Ich bin sicher, die Zukunft wird gut sein, Libyen wird Erfolg haben."

Wenn die neue Nationalversammlung zusammentritt, soll der bisherige Nationale Übergangsrat seine Macht verlieren. Ein Datum dafür gibt es jedoch noch nicht. Von den 200 Abgeordneten sollen 100 aus dem Westen des Landes, 60 aus dem Osten und 40 aus den südlichen Wüstengebieten stammen. Dabei sind 120 Mandate für unabhängige Kandidaten und 80 für Vertreter von Parteien und anderen politischen Organisationen reserviert. Unter den zur Wahl zugelassenen Kandidaten waren 629 Frauen.

 Die neu gewählten Abgeordneten sollten ursprünglich auch ein verfassungsgebendes Gremium bestimmen. Dieses soll nach einem Beschluss der Übergangsregierung nun aber gesondert und direkt vom Volk gewählt werden - ein Zugeständnis an den Osten des Landes, der nach mehr Autonomie strebt. Die Bewohner sind verärgert, weil dem Osten, wo sich der Großteil der Ölindustrie befindet, weniger Gewicht im Parlament eingeräumt wurde als dem Westen. Ihm kommen nur 60 Sitze zu, dem Westen 102.

Nach dem Beginn des Volksaufstandes im Februar 2011 erhielten die Aufständischen militärische Unterstützung vom Westen und einigen arabischen Staaten. Im August wurde Gaddafi gestürzt, zwei Monate später, am 20. Oktober 2011, unter ungeklärten Umständen in seiner Heimatstadt Sirte getötet.

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