Der angekündigte Rechtsruck in Spanien scheint vollzogen: Die linke Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez ist am Sonntag laut Prognosen abgewählt worden.
Die konservative Volkspartei PP von Oppositionschef Alberto Núñez Feijóo gewann die vorgezogene Parlamentswahl nach Berichten des staatlichen TV-Senders RTVE und anderer Medien mit 34,2 Prozent (145 bis 150 Sitze). Gemeinsam mit der rechtsextremen Vox war eine absolute Mehrheit im 350 Sitze-Parlament in Reichweite.
Laut RTVE landeten die Sozialisten (PSOE) von Sánchez mit 28,9 Prozent oder 113 bis 118 Sitzen abgeschlagen auf Platz zwei. Die PP verpasst freilich allein die absolute Mehrheit von 176 Sitzen deutlich, sodass Feijóo zur Regierungsbildung auf eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten von Vox angewiesen wäre. Kommt es tatsächlich zu einer Allianz von PP und Vox, würde erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975 wieder eine Rechtsaußenpartei direkten Einfluss auf die Regierungsagenda erhalten.
Vox ungefähr gleichauf mit linkem Wahlbündnis Sumar
Vox lag nach unterschiedlichen Prognosen mit 24 bis 31 Sitzen ungefähr gleichauf mit dem linken Wahlbündnis Sumar (28 bis 31), dem auch die bisherige Regierungspartei Unidas Podemos angehört. Paradoxerweise bekommt die umstrittene Rechtsaußenpartei von Spitzenkandidat Santiago Abascal deutlich weniger Sitze als bei der vergangenen Parlamentswahl im Jahr 2019, als sie auf 52 kam, sie wird aber nach dieser Abstimmung wohl viel mehr politisches Gewicht als zuletzt haben. Vox will illegal eingewanderte Migranten ausweisen und unter anderem Gesetze zu Transgender-Rechten, Abtreibung und Tierrechten aufheben.
Nach den Medienprognosen können sich die PP und Vox gute Chancen ausrechnen, gemeinsam die absolute Mehrheit zu erreichen. Sollte das nicht der Fall sein, werden sie im "Congreso de los Diputados" auf die Unterstützung oder zumindest die Duldung durch kleinere Parteien angewiesen sein. Da dies noch ungewiss ist, stehen der viertgrößten Volkswirtschaft der EU, die derzeit den Ratsvorsitz der Union innehat, sicher wochenlange Verhandlungen bevor. Ein "Bloqueo", eine politische Blockade, wie es sie bereits nach den Wahlen von 2015 und 2019 zwei Mal in Folge gab und jeweils eine zweite Abstimmungsrunde nötig machte, ist nicht ausgeschlossen.
Vox hat sehr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit
Wie Partnerparteien in Ungarn und Polen hat Vox ein sehr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Sie ist zudem euroskeptisch und trommelt dafür, linke Prestigeprojekte im Bereich Soziales, Minderheitenschutz und Umwelt einzukassieren und hart gegen Separatisten durchzugreifen. Eine sogenannte Brandmauer nach rechts wie in Deutschland gegenüber der AfD gibt es in Spanien nicht. In einigen Regionen regieren PP und Vox schon gemeinsam. Eine "große Koalition" ist in Spanien undenkbar. Sánchez wolle nicht einmal eine PP-Minderheitsregierung dulden und lasse ihm somit "keine andere Wahl" als mit Vox zu sprechen, betonte Feijóo mehrfach.
Am Sonntag wurden neben dem Unterhaus "Congreso de los Diputados" auch Teile des Senats neu gewählt. In Spanien spielt das Oberhaus bei der Regierungsbildung aber keine Rolle. Die Wahl des Parlaments war eigentlich erst für Ende des Jahres programmiert. Sánchez zog sie aber nach dem Debakel der linken Parteien bei den Regionalwahlen vom 28. Mai vor. Die linke Regierung warnte immer wieder, eine rechte Regierung werde die sozialen Errungenschaften der vergangenen Jahre zunichte machen und das Land um Jahrzehnte zurückwerfen. Die Warnungen blieben ungehört.
Wahlen fallen in heikle politische Phase
Die Wahlen fallen in eine heikle politische Phase, in der Spanien gerade erst die halbjährliche rotierende EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Die Europäische Union arbeitet derzeit an einer Reform der Haushalts- und Schuldenregeln. "Eine Regierungsbeteiligung von Vox würde einen harten Rechtsruck mit gravierenden Folgen für Spanien und Europa bedeuten. Das würde jedoch nichts daran ändern, dass das Land tiefer denn je gespalten ist. Allein das ist keine gute Nachricht", so der deutsch-spanische Historiker Carlos Collado Seidel, der an der Universität Marburg als außerplanmäßiger Professor tätig ist.