Neues Dekret

Syrien könnte Flüchtlinge enteignen

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Kritiker des neuen Dekrets befürchten einen 'Bevölkerungsaustausch'.

In der Diskussion um den mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz im syrischen Douma und den nachfolgenden US-Luftangriffen ist die Nachricht über ein neues Landverwaltungsgesetz in Syrien in westlichen Medien etwas untergegangen. Dabei kann sie auf viele Jahre das Schicksal der syrischen Flüchtlinge in- und außerhalb des Bürgerkriegslandes bestimmen.
 
Das "Dekret Nr. 10" wurde am 4. April von Machthaber Bashar al-Assad unterzeichnet. Nach außen hin geht es bloß um eine "Reorganisation" bestimmter Gegenden des Landes, insbesondere im Hinblick auf das Grundeigentum. Doch die Konsequenzen sind gravierend.


"Völlig unlogisch"

Laut dem Dekret müssen sich die Eigentümer von Grundstücken bzw. deren Vertreter innerhalb von 30 Tagen melden und ihr Eigentum nachweisen. Das Problem ist, dass aus den betroffenen Regionen etwa um Damaskus, Homs oder Aleppo zahlreiche Bewohner geflüchtet sind. Viele von ihnen flohen gerade vor Assad und befürchten bei einer Rückkehr Inhaftierung oder Tod.
 
Nach Angaben der syrischen Regierung soll das Gesetz dem Wiederaufbau des Landes dienen. Kritiker sind jedoch skeptisch: "Es ist völlig unlogisch, dass ein Gesetz, das darauf abzielt, Syrien wiederaufzubauen und die vom Krieg betroffenen Gebiete wieder zu besiedeln, eingeführt wird, während der Krieg noch im Gange ist", zitiert der katarische Sender Al-Jazeera die Menschenrechtlerin Diala Shehade (Chehade). Dies weise auf die "üblen Absichten der Assad-Regierung" hin.
 

Grundbücher zerstört

An zahlreichen Orten, etwa in Homs, sind die Grundbücher zudem laut früheren Medienberichten völlig zerstört worden. Die Digitalisierung des syrischen Grundbuchs war vor dem Krieg erst in Teilen erfolgt, so dass die Vernichtung dieser Dokumente für zahlreiche Menschen bedeutet, keinen Beweis mehr für ihre Eigentumsrechte zu haben. Nach verschiedenen Untersuchungen haben nur rund zehn bis 20 Prozent der syrischen Flüchtlinge Papiere über ihr Grundeigentum bei sich, schreibt die Online-Plattform "Just Security" der New York University.
 
Das "Dekret Nr. 10" ist nur eines von mehreren Gesetzen, die das Assad-Regime in den vergangenen Jahren zum Grundeigentum verabschiedet hat. Kritiker vermuten hinter den Einschränkungen der Eigentümerrechte und den offenbar bevorstehenden Enteignungen einerseits eine Methode, um Unterstützer der Regimes mit neuen Wohngebieten zu "belohnen". Andererseits sei wohl auch ein "Bevölkerungsaustausch" der betroffenen Gebiete beabsichtigt.
 

Enteignung

Medien hatten schon in den vergangenen Jahren berichtet, dass in Gegenden, die zuvor von sunnitischen Muslimen bewohnt waren, in jüngerer Zeit Schiiten angesiedelt wurden. Diese Personen kämen nicht nur aus Syrien, sondern auch aus dem Libanon und dem Irak. Die britische Zeitung "The Guardian" sah in einem Bericht von 2017 den Einfluss des schiitischen Iran - einem der Hauptunterstützer Assads - im Hintergrund der Ansiedlung von Schiiten im Zentrum Syriens, insbesondere im Gebiet zwischen Damaskus und dem weiter nördlich gelegenen Homs. Arabische Medien verglichen das Dekret mit dem israelischen Abwesenheitsgesetz von 1950, das die Enteignung von Ländereien und Immobilien, die geflohenen Palästinensern gehörten, möglich machte.
 
Gegen Assad kämpfen im Bürgerkrieg zahlreiche sunnitische Milizen wie der jihadistische "Islamische Staat" (IS). Vor dem Krieg waren rund drei Viertel der Bevölkerung Syriens Sunniten, 13 Prozent Schiiten und Angehörige anderer muslimischer Gruppierungen; zehn Prozent waren Christen. Assad selbst gehört der religiösen Minderheit der Alawiten an. Diese sehen sich selbst als Muslime an, haben aber in ihrem Glaubenssystem und ihren Ritualen auch gnostische und christliche Elemente.
 
In den sieben Kriegsjahren seit 2011 sind zwölf bis 13 Millionen Menschen geflohen, etwa die Hälfte davon ins Ausland.
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