Nach Abhörskandal

Taurus-Causa: Kanzler Scholz steht massiv unter Druck

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Seit Wochen steht der deutsche Kanzler Olaf Scholz unter Druck, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern.  

Erst vergangene Woche hat er nach langem Drängen erstmals ausführlicher erklärt, warum er einer Lieferung - "gegenwärtig" - nicht zustimmt. Spätestens seit dem von Russland veröffentlichten Mitschnitt einer Diskussion unter hohen Bundeswehroffizieren über einen möglichen Taurus-Einsatz wird die Debatte noch unübersichtlicher. Eine Übersicht:

Veröffentlichter Mitschnitt

Der von einem russischen Staatssender veröffentlichte Mitschnitt bestätigt, dass die Entscheidung über den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern letztlich eine politische ist: Deutsche Bundeswehr-Experten variieren in ihren Einschätzungen, was die Ausbildungszeit der Ukraine, die nötigen Schnittstellen mit den Flugzeugen und die Datenbereitstellung angehen. Aber sie halten es für machbar, in drei Monaten für eine schnelle Lösung, in etwa acht Monaten für eine umfassendere Lösung für den Taurus-Einsatz zu sorgen. Nur bei der längeren Ausbildung könnte man davon ausgehen, dass die Ukrainer das System selbst handhaben.

Immer wieder wird betont, dass dies technisch machbar sei, aber politisch entschieden werden müsse, bis zu welchem Grad Deutschland involviert sein soll - vor allem wenn die russische Kertsch-Brücke zur besetzten Halbinsel Krim angegriffen werden sollte. Hier gehe es nach den politischen "roten Linien". Vor allem für eine sinnvolle, schnelle Datenauswertung für Zielkoordinaten wird auch von den Militärs eine "irgendwie geartete Beteiligung" Deutschlands angenommen. Als vorstellbar gilt die Lieferung von 50, vielleicht auch 100 Taurus-Marschflugkörper, die auch gegen russische Munitionsdepots eingesetzt werden könnten.

Oberste Maxime ist seit Ausbruch des Krieges laut Scholz - wie für die USA -, dass es nicht zu einer Eskalation des Krieges zwischen der NATO und Russland kommen darf. Dies wiederholte Scholz vor wenigen Tagen. Verkompliziert wird die Debatte durch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der am Montag in Paris öffentlich den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht mehr ausgeschlossen hat. In dem von Russland veröffentlichten Mitschnitt der deutschen Offiziere ist davon die Rede, dass die Briten für den Einsatz der "Storm-Shadow"-Marschflugkörper einige Experten in der Ukraine selbst hätten, die Franzosen dagegen nicht. Darüber hatte es schon vor Wochen Berichte gegeben. Die Rede ist zudem von Zivilpersonal in der Ukraine "mit amerikanischem Akzent".

Die Frage, ob die Lieferung bestimmter Waffensysteme wie schwerer Kampfpanzer oder nun Marschflugkörper durch NATO-Staaten das Überschreiten einer roten Linie bedeutet, gibt es seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Moskau warnt ständig davor, ohne dass es aber etwa nach der britischen und französischen Lieferungen von Marschflugkörpern eine Eskalation Richtung NATO-Staaten gegeben hätte.

Große Angst vor einer Eskalation

Scholz hatte schon in der Panzer-Debatte in 2023 argumentiert, dass er als deutscher Bundeskanzler besonders für die Sicherheit Deutschlands verantwortlich sei und danach Entscheidungen treffen müsse. Auch in der Taurus-Debatte wiederholt die russische Führung die Vergleiche zu Nazi-Deutschland. Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew zitiert aus Gedichten aus dem Zweiten Weltkrieg, dass es gut sei, deutsche Soldaten zu töten. Die deutsche Debatte heizt dies an, weil es sowohl Warnungen vor einer Eskalation als auch die vor einem "Kuschen" des Kanzlers vor Russland gibt.

Ein Teil der Debatte kreist um die Annahme, dass Scholz behauptet habe, Bundeswehr-Soldaten müssten für den Taurus-Einsatz in der Ukraine selbst eingesetzt werden. Das hat der Kanzler allerdings so nie gesagt. Bei der dpa betonte er am Montag zwar als generelle Linie, dass es keine Bundeswehrsoldaten in der Ukraine geben dürfe. Er fügte aber mit Blick auf Taurus hinzu: "Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein - auch nicht in Deutschland." Hintergrund ist, dass die Steuerung der Zieldaten für Taurus auch aus Deutschland heraus erfolgen könnte. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die Debatte noch verkompliziert, weil er vor wenigen Tagen auf eine entsprechende Frage kryptisch von verschiedenen Taurus-Systemen gesprochen hat - die etwa auch in Südkorea eingesetzt werden. Übrigens: Für einen Einsatz von Bundeswehrsoldaten in der Ukraine bräuchte es - anders als in Großbritannien - einen Parlamentsbeschluss.

Scholz hat am Freitag erstmals betont, dass Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern eine Waffe sei, "die, wenn sie falsch eingesetzt wird, ein konkretes Ziel irgendwo in Moskau erreichen kann". In Anspielung auf Großbritannien und Frankreich fügte er hinzu: "Deshalb ist es so, dass - ich formuliere das mal in aller diplomatischen Abstraktheit - auch Andere Sorge dafür getragen haben, dass sie genau wissen, wo was landet." Auch in dem Mitschnitt wird erwähnt, dass die Briten auf die Zieldaten schauen. Dabei können die britische "Storm Shadow" und die französische "Scalp" nur etwa 250 Kilometer weit fliegen, würden also Moskau nicht erreichen. Auch die USA haben wie Deutschland der Ukraine übrigens keine so weitreichenden Marschflugkörper geliefert. Scholz besteht bei neuen Waffensystemen stets auf eine Abstimmung mit US-Präsident Joe Biden.

Ukrainer beklagen Misstrauen durch den deutschen Kanzler. Aber in Regierungskreisen wird zumindest hinter vorgehaltener Hand darauf verwiesen, dass man schon mitdenken müsse, was in ein oder zwei Jahren sei könne. Schon heute brodelt es innenpolitisch in der Ukraine. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass irgendwann nicht mehr Präsident Wolodymyr Selenskyj an der Macht ist, sondern ein verzweifelter Nachfolger, der Taurus in der Not eben doch Richtung Kreml abfeuern würde. Das müsse man angesichts der Reichweite dieser Waffe mitdenken.

Taurus-Debatte auch innenpolitisch ein Thema

Die Taurus-Debatte wird in einem intensiven Wahljahr auch innenpolitisch instrumentalisiert - von allen Seiten. Der Vorsitzenden des deutschen Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, wird insbesondere von der SPD vorgeworfen, dass sie vor allem mit Blick auf ihre FDP-Spitzenkandidatur für die Europawahl jede Möglichkeit zur Kritik am Ampel-Kanzler nutze. Umgekehrt werden Scholz und der in Umfragen angeschlagenen SPD wegen der Taurus-Position und der Ablehnung von Bodentruppen unterstellt, dass sie nun bewusst ein Image als "Friedenspartei" suchten. Die von Scholz vorangetriebene Verdoppelung der deutschen Militärhilfe für die Ukraine wird dabei allerdings nicht erwähnt.

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