Premierministerin will an Zeitplan für Brexit-Verhandlungen festhalten
Ungeachtet des Verlusts ihrer absoluten Mehrheit bei der Parlamentswahl will Premierministerin Theresa May die neue Regierung führen und am Zeitplan für den EU-Ausstieg festhalten. May kündigte am Freitag nach der schweren Wahlschlappe an, eine Minderheitsregierung zu bilden, die von der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) toleriert wird. Die Verhandlungen mit Brüssel über den EU-Austritt sollen wie geplant am 19. Juni beginnen.
Gespräche über Minderheitsregierung
Noch am Freitag begannen erste Gespräche über eine Minderheitsregierung der Tories mit Unterstützung der DUP. Dieses Bündnis werde "Gewissheit" bringen und das Land durch die Brexit-Gespräche führen, wie May bekräftigte. DUP-Chefin Arlene Foster sagte, man wolle Möglichkeiten zur Stabilisierung des Landes sondieren. "Ich denke, es wird sicher Kontakt über das Wochenende geben."
Bei der Königin hatte die Premierministerin um den Auftrag zur Regierungsbildung gebeten. "Es ist klar, dass nur die Konservativen und die Unionist Party die Legitimität und die Fähigkeit haben, das zu leisten", sagte May.
Bittere Verluste
Eigentlich hatte May sich von der vorgezogenen Wahl ein starkes Mandat für die Brexit-Verhandlungen erhofft, doch erlitten die Tories stattdessen bittere Verluste. Sie verloren ihre absolute Mehrheit und kamen nach Auszählung fast aller Wahlkreise auf 318 Mandate, 13 weniger als bei der Wahl 2015. Die oppositionelle Labour Party gewann 29 Sitze hinzu und kommt auf 261 Sitze. Die DUP erhielt zehn Sitze.
Die Liberaldemokraten, die 2010 eine Koalition mit Mays Vorgänger David Cameron gebildet hatten, erhielten vier Mandate mehr und kommen auf zwölf Sitze. Als Koalitionspartner kommen sie dieses Mal aber nicht in Frage, weil sie den Brexit vehement ablehnen. Die schottische Schottische Nationalpartei (SNP), die nach den Wahlen 2015 drittstärkste Kraft im britischen Unterhaus geworden war, verlor 21 ihrer 56 Sitze.
Die rechtspopulistische UKIP, die 2015 noch auf 12,6 Prozent gekommen war, verlor mehr als zehn Prozentpunkte und ihren einzigen Sitz im Unterhaus. Parteichef Paul Nuttal trat zurück. Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 69 Prozent höher als in den vorangegangenen Parlamentswahlen seit 1997.
"Verhandlungen im Namen des Landes"
Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte am Morgen angekündigt, er sei bereit, "Verhandlungen im Namen des Landes zu führen". Der 68-Jährige forderte May auf, nach der Schlappe zurückzutreten. Sie habe "Stimmen, Unterstützung und Vertrauen verloren".
Corbyn hingegen, dessen Labour Party im April in Umfragen noch 20 Prozentpunkte weniger als die Tories hatte, legte eine beispiellose Aufholjagd hin. So gewann er unter anderem viele junge Wähler für sich. Einer Nachwahlbefragung zufolge stimmten rund 60 Prozent der unter 35-Jährigen für Labour, 36 Prozent davon waren Erstwähler.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte eine Abkehr vom Konzept des "harten Brexit". Das "rücksichtslose" Verfolgen dieser Vorstellung durch die Regierung May müsse "aufgegeben werden", sagte die SNP-Chefin in Edinburgh. May habe "jede Autorität und Glaubwürdigkeit verloren".
Signal gegen harte Konfrontation mit der EU
Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) wertete den Wahlausgang als Signal gegen eine harte Konfrontation mit der EU. "Ich finde, die Botschaft der Wahl ist: Macht faire Gespräche mit der EU und überlegt nochmal, ob es eigentlich gut für Großbritannien ist, in dieser Art und Weise aus der EU auszuscheiden", sagte Gabriel in Wolfenbüttel. In einer Twitter-Botschaft schrieb er, nun sei eine "schnelle Regierungsbildung wichtig, um ernsthafte Brexit-Verhandlungen beginnen zu können".
EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte vor einem Scheitern der Brexit-Verhandlungen. Es sei nun unklar, wann die eigentlich für den 19. Juni geplanten Austrittsgespräche mit London beginnen könnten, schrieb Tusk bei Twitter. In einem Gratulationsbrief an May dringt er auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Verhandlungen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ging nicht von einem zügigen Beginn der Brexit-Gespräche aus. "Der Staub in Großbritannien muss sich jetzt legen", sagte Juncker der "Süddeutschen Zeitung" am Freitag. Seit März läuft eine zweijährige Frist bis zum EU-Austritt Großbritanniens 2019. Bis dahin müsste ein Austrittsabkommen verabschiedet sein.