Nur ein Fehler beim Bombenbau verhinderte die Explosion in den Regionalzügen. Nun soll sich der mutmaßliche Täter vor Gericht verantworten.
Montag, 31. Juli 2006, 14.30 Uhr: In dieser Minute entgehen die ahnungslosen Reisenden in zwei Regionalzügen nach Hamm und Koblenz in Deutschland um Haaresbreite verheerenden Sprengstoffanschlägen. Die Bomben ticken in herrenlosen Rollkoffern, die zwei Islamisten rund eineinhalb Stunden zuvor im Kölner Hauptbahnhof in beiden Zügen deponiert haben. Dass die Sprengsätze nicht wie geplant detonieren, liegt nur an handwerklichen Fehlern der Bombenbauer. Einer von ihnen ist nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft der Libanese Youssef Mohamad E.H. Am Dienstag beginnt der Prozess gegen den 23-Jährigen vor Oberlandesgericht Düsseldorf.
Mutmaßlicher Täter schweigt beim Verhör
Im
Polizeiverhör hat E.H. zu dem Vorwurf geschwiegen, an einem der bis dato
schwersten Attentatsversuche in der Geschichte der Bundesrepublik beteiligt
gewesen zu sein - einer Tat, die den Deutschen erstmals die Terrorgefahr
auch hierzulande drastisch vor Augen führte. Vor dem Düsseldorfer
Terrorismussenat muss sich der Ex-Student aus Kiel nun wegen Mordversuchs in
einer unbestimmten Zahl von Fällen und versuchten Herbeiführens einer
Sprengstoffexplosion verantworten - die Höchststrafe dafür lautet
lebenslänglich. Sein mutmaßlicher Komplize Jihad H. steht bereits seit April
im Libanon vor Gericht.
Zorn auf Mohammed-Karrikaturen
Motiv für den Anschlagsversuch war
nach Erkenntnissen der Strafverfolger vor allem der Zorn der Studenten über
die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in deutschen Zeitungen, aber
auch der Tod des Terroristenführers Abu Mussab al-Zarqawi im Juni 2006 im
Irak. Auf die Spur kamen die Ermittler den mutmaßlichen Kofferbombern
indirekt durch Videoaufnahmen von Gleis 3 des Kölner Hauptbahnhofs, die zwei
junge Männer mit schweren Trolleys zeigten. Der Anklage zufolge deponierte
Jihad H. seinen Rollkoffer im Regionalexpress 10121 Aachen-Hamm, während
Youssef Mohamad E.H. seinen Trolley in der Regionalbahn 12519
Mönchengladbach-Koblenz abstellte.
Video führte zu Festnahme
Bereits einen Tag nach
Veröffentlichung der Videoaufnahmen durch das Bundeskriminalamt wurde E.H.
am 19. August 2006 auf dem Kieler Hauptbahnhof festgenommen - nach einem
Hinweis des libanesischen Nachrichtendienstes. Fünf Tage später stellte sich
der zu diesem Zeitpunkt bereits per Haftbefehl gesuchte Jihad H. im
libanesischen Tripoli den Behörden. Laut Anklage waren die beiden Männer,
die nach dem Deponieren der selbst gebastelten Bomben die Züge bei nächster
Gelegenheit verlassen hatten, noch am Tattag vom Flughafen Köln/Bonn nach
Istanbul und weiter nach Damaskus geflogen. Von dort reisten sie über den
Landweg in den Libanon ein.
Im Gegensatz zu seinem mutmaßlichen Mittäter kehrte E.H. jedoch am 8. August über Frankfurt am Main nach Kiel zurück, wo er zuvor ein Studienkolleg absolviert hatte. Erstmals nach Deutschland eingereist war der heute 23-Jährige Anfang September 2004. Mit dem zur Tatzeit 20-jährigen Jihad H., der sich seit Jänner 2006 in Deutschland aufhielt und zuletzt in Köln wohnte, traf E.H. erstmals im April 2006 in Kiel zusammen - den Kontakt zwischen beiden hatte ein Cousin von E.H. vermittelt.
Blindgänger wegen handwerklichem Fehler
Beim Bombenbau
unterlief den Männern ein handwerklicher Fehler - offenbar gelang es ihnen
nicht, das richtige Gasgemisch herzustellen. Wären die Sprengsätze
explodiert, hätte es Experten zufolge wohl einen Feuerball gegeben durch die
Plastikflaschen mit Brandbeschleuniger, die neben Gasflaschen, Drähten und
Batterien in den Koffern gefunden wurden. Waggons wären ausgebrannt, die
Züge wahrscheinlich entgleist.
Fanatische Einzeltäter?
Mit Spannung wird erwartet, ob der
Düsseldorfer Prozess neue Hinweise auf mögliche Hintermänner des
Anschlagsversuchs liefern wird oder ob die beiden Studenten fanatisierte
Einzeltäter waren. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
ist E.H. nicht angeklagt - eine solche Vereinigung muss mindestens drei
Mitglieder haben, doch weitere dringend Tatverdächtige konnten die deutschen
Behörden bisher nicht finden. Allerdings wird wegen der Kofferbomben weiter
ermittelt, unter anderem gegen den in Schweden lebenden Bruder des
Düsseldorfer Angeklagten.