Innenminister: Getöteter Pädagoge wurde Opfer einer Fatwa.
Paris - Nach dem brutalen Mord an einem Lehrer hat die Polizei in Paris einen groß angelegten Schlag gegen das islamistische Milieu gestartet. Am Montag liefen Einsätze gegen dutzende Islamisten, sagte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin dem Radiosender Europe 1. Die Verdächtigen stünden "nicht unbedingt in Verbindung" mit dem Mord an dem Lehrer. Die Einsätze zielten vielmehr darauf ab, "eine Botschaft zu vermitteln: nicht eine Minute Aufschub für die Feinde der Republik".
Ermittlerkreisen zufolge soll es sich um Verdächtige handeln, die wegen radikaler Predigten und Hassbotschaften im Netz im Fokus der Geheimdienste stehen. Gegen mehr als 80 Menschen seien zudem nach Behauptungen, "der Lehrer habe es darauf angelegt", Ermittlungen eingeleitet worden, fügte Darmanin hinzu. In diesem Zusammenhang habe es auch vorläufige Festnahmen gegeben.
Der islamistische Anschlag auf den 47-jährigen Geschichtslehrer hatte in ganz Frankreich Entsetzen ausgelöst. Am Sonntag gingen Zehntausende Franzosen in Paris und weiteren Städten auf die Straße, um für Meinungsfreiheit zu demonstrieren und ihre Solidarität auszudrücken.
Staatspräsident Emmanuel Macron berief am Sonntagabend den Verteidigungsrat ein. "Die Angst wird die Seiten wechseln", sagte er dabei nach Angaben des Élysée-Palastes. "Islamisten dürfen in unserem Land nicht ruhig schlafen können." Im Anschluss kündigte er einen Aktionsplan "gegen Strukturen, Vereinigungen oder Menschen, die radikalisierten Kreisen nahe stehen" an.
Darmanin erklärte, mehr als 50 Verbände würden "die ganze Woche über Besuch von staatlichen Stellen bekommen". Mehreren drohe die Auflösung. Dabei fasste Darmanin insbesondere das Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich (CCIF) ins Auge. Es gebe mehrere Hinweise darauf, dass es sich dabei um "einen Feind der Republik handelt".
Der Lehrer war am Freitag in der Nähe seiner Schule im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine von einem 18-jährigen Russen tschetschenischer Herkunft enthauptet worden. Er hatte mit seinen Schülern das Thema Meinungsfreiheit im Unterricht behandelt und dabei Karikaturen des Propheten Mohammed verwendet. Die Ermittler gehen von einem islamistisch motivierten Terroranschlag aus.
Opfer einer Fatwa
Der Angreifer wurde nach der Tat von der Polizei erschossen. Im Zusammenhang mit dem Anschlag wurden bisher elf Menschen in Polizeigewahrsam genommen. Darunter sind auch der Vater einer Schülerin und ein bekannter militanter Islamist, die Darmanin zufolge eine Fatwa gegen den 47-Jährigen ausgesprochen hatten.
Die Fatwa ist im Islam ein religiöses Rechtsgutachten. Weltweit bekannt wurde der Begriff, als der iranische Ayatollah Khomeini 1989 in einer Fatwa zur Tötung des britisch-indischen Schriftstellers Salman Rushdie wegen Gotteslästerung aufrief.
Die Ermittler versuchen nun herauszufinden, ob der Täter aus eigenem Entschluss heraus handelte oder ob er "gesteuert" wurde. Der Lehrer, der als engagierter Pädagoge galt, hatte nach Angaben seiner Schule muslimischen Kindern die Möglichkeit gegeben, den Klassenraum zu verlassen, bevor er die Karikaturen zeigte, da er ihre Gefühle nicht verletzen wollte.
Marine Le Pen, Chefin der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN), forderte am Montag eine "Kriegsgesetzgebung" zur Bekämpfung des Islamismus und "ein sofortiges Moratorium für Einwanderung und Einbürgerung". Zuvor hatte sie einen Kranz an der Schule des Opfers abgelegt. An den Solidaritätskundgebungen am Sonntag hatte kein Vertreter des RN teilgenommen. Zur Begründung hieß es, man habe "ein bisschen die Nase voll von der 'Kerzen-Politik'".
Auch in Österreich hielt das Entsetzen über die grausame Enthauptung des Lehrers am Montag an. Der Mordanschlag sei "erschütternd und abscheulich", erklärte Integrationssprecherin der Grünen, Faika El-Nagashi in einer Aussendung. "Schule ist auch ein Ort der politischen Bildung. Man lernt, sich eine Meinung zu bilden, diese Meinung zu formulieren und Widersprüche zivilisiert zu diskutieren. Kritikfähigkeit zu trainieren, ist Kernaufgabe von Lehrkräften. Dies darf auch vor religiösen Inhalten niemals haltmachen", erklärte die Bildungssprecherin der Grünen, Sibylle Hamann. "Wenn wir beginnen, aus Angst vor Gewalt und Terror die Meinungsfreiheit einzuschränken und im Unterricht heiklen Themen auszuweichen, haben wir schon verloren", ergänzte sie. Gerade Kinder, die in der Familie mit einem geschlossenen Weltbild aufwachsen, müssten in der Schule die Chance bekommen, sich mit anderen Sichtweisen auseinanderzusetzen. El-Nagashi sprach sich für "systemische Extremismusprävention" und "den Dialog mit den muslimischen Gemeinschaften" aus, um jihadistischem Fundamentalismus und islamistisch motivierter Gewalt entgegenzutreten. "Der Aufschrei gegen den Terror muss laut sein", Muslime dürften aber nicht unter Generalverdacht gestellt werden, so die Nationalratsabgeordnete.
Die deutsche Regierung stehe an der Seite der Franzosen im Einsatz gegen islamistische Gewalt und "Hass in jeder Form", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin.