Demos in Chile

99 Festnahmen nach Pinochet-Tod

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Nach dem Tod des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet sind bei den schweren Auseinandersetzungen mit militanten Pinochet-Gegnern in der Nacht zum Montag 43 Polizisten verletzt worden.

Das Innenministerium in Santiago de Chile teilte mit, 99 Demonstranten seien festgenommen worden. Sie hatten Steine geworfen und Barrikaden errichtet. Mindestens zwei Bankfilialen wurden beschädigt. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein.

Die Krawalle griffen nach Mitternacht von der Innenstadt Santiagos auf mehrere Arbeiterstadtteile über. Die Behörden erklärten, die Gewalt sei nur von einem kleinen Teil der mehreren tausend Demonstranten ausgegangen. Der stellvertretende Innenminister Felipe Harboe rief die Bevölkerung zum Frieden auf. Die Regierung wolle nicht, dass die Menschen heute noch unter der Vergangenheit leiden müssten.

In der Hauptstadt Santiago demonstrierten mehr als 5.000 Personen, in anderen Teilen Chiles weitere Tausende, berichtete die chilenische Zeitung "El Mercurio" in ihrer Internetausgabe. Chilenische Fahnen schwingend, begrüßen sie die "Befreiung" des Landes von den letzten Spuren des "Massenmörders und Diktators". Verkehrsteilnehmer bekunden den Demonstranten mit ihren Luftballons und Anti-Pinochet-Schildern ihre Sympathie, indem sie kräftig ihre Autohupen betätigen.

Gegner: "Es ist wie Karneval!"
Ein wenig erinnert die Kundgebung an Demonstrationen der Pinochet-Gegner zu dessen Lebenszeiten. Zu den beliebtesten Parolen gehörte dabei der Ruf: "Y va a caer ... y va a caer" ("Und er wird stürzen"). Jetzt heißt es: "Y ya cayo ... y ya cayo" ("Und er ist gestürzt"). Einige Demonstranten lassen ihrer Freude über den Tod des Junta-Chefs freien Lauf. Immer wieder rufen sie: "Es un carnaval, es un carnaval, se muri el general" ("Es ist wie Karneval! Der General ist tot!") Der Sekt sprudelt, die Menschen lachen und umarmen sich und setzen sich dann in Bewegung über die Hauptverkehrsstraße Alameda auf den Präsidentenpalast La Moneda zu.

In dessen Nähe warten bereits andere Gruppen von Demonstranten. "Auf diesen Moment habe ich Jahre gewartet", sagt eine Teilnehmerin der Kundgebung. Sie gibt sich als "Tochter eines Kommunisten" zu erkennen, der nach Pinochets Putsch gegen den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973 im Gefängnis landete. Neben ihr fotografieren zwei Niederländerinnen eine etwa 60-jährige Frau, die ein Schild mit der Forderung trägt, Pinochet, der "Mörder und Räuber" möge auf "direktem Wege" zur Hölle fahren.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene laufen in dem Demonstrationszug mit, einige führen Banner mit den Gesichtern Allendes oder des argentinisch-kubanischen Revolutionärs Ernesto "Che" Guevara mit sich. Auch die Fahnen Kubas, Venezuelas und Brasiliens sind zu sehen. "Mich schmerzt es, dass der Alte gestorben ist", sagt die Mittsechzigerin Adriana. "Ich hätte mir gewünscht, dass er für seine zahllosen Verbrechen seine gerechte Strafe erhält."

Leichnam offenbar heimlich abtransportiert
Der Sarg mit dem Leichnam des früheren Diktators ist nach Medienberichten heimlich aus dem Militärkrankenhaus abtransportiert worden. Die vor dem Gebäude wartenden Journalisten und einige hundert Anhänger hätten auf einen Leichenwagen gewartet, schrieb die Zeitung "El Mercurio" am Montag in ihrer Internetausgabe. Stattdessen sei der Sarg aber in einem unscheinbaren grauen Lieferwagen unbemerkt vom Krankenhaus bis in die Offiziersschule gefahren worden.

Die Behörden hatten auch mit einem Anschlag auf den Sarg gerechnet. Die Polizeikräfte, die kurz nach dem Tod Pinochets am Sonntag vor dem Krankenhaus aufgezogen waren, zogen sich inzwischen zurück.

Nur Thatcher trauert
Von Pinochets einstigen Verbündeten äußerte nur die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher Trauer über den Tod des 91-jährigen Generals, in dessen 17-jähriger Herrschaft tausende Andersdenkende getötet wurden oder spurlos verschwanden. Die USA, die Pinochets Militärherrschaft viele Jahre stillschweigend duldeten, bezeichneten Pinochets Militärherrschaft "als eine der schwierigsten Perioden der Geschichte dieser Nation", wie der Sprecher des Weißen Hauses, Tony Fratto, mitteilte. "Unsere Gedanken sind mit den Opfern seiner Herrschaft und deren Familien", sagte er.

„Völlig diskreditiert gestorben“
Wie Fratto würdigte auch die britische Außenministerin Margaret Beckett die Leistung des chilenischen Volkes, seit Pinochets Abgang 1990 eine "offene, stabile und blühende Demokratie" aufgebaut zu haben. Menschenrechts-Organisationen von Amnesty International bis Human Rights Watch bedauerten, dass sich Pinochet für seine brutale Herrschaft nie habe vor Gericht verantworten müssen. Allerdings stellte der Lateinamerika-Direktor von Human Rights Watch, Jose Miguel Vivanco, fest: "Pinochet hat seine letzten Jahre damit verbracht, ein immer dichter zusammenziehenden Netz von Anklagen abzuwehren. Er ist als völlig diskreditierte Persönlichkeit in dem Land gestorben, das er einst beherrschte." Amnesty forderte, aus dem Fall Pinochet Konsequenzen für eine künftig effektivere Strafverfolgung von Menschenrechtsverstößen zu ziehen.

USA: "Höchst umstrittene Figur"
Das US-Außenamt hat den verstorbenen Pinochet als "höchst umstrittene Figur" bezeichnet, über die das chilenische Volk ihr Urteil fällen werde. "Die Chilenen reagierten auf die Herrschaft von General Pinochet, indem sie ihr Bekenntnis zu Demokratie, Pluralismus, einer offenen Wirtschaft und internationalem Engagement nochmals unterstrichen", sagte eine Sprecherin des Außenministerium in Washington am Montag auf Anfrage. Pinochet wurden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen; während seiner 17-jährigen Herrschaft wurden tausende Andersdenkende getötet wurden oder verschwanden spurlos. Bis zuletzt gelang es Pinochet aber immer wieder, einer Verurteilung zu entgehen.

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