Konservative Regierung vorne, jedoch mit Verlusten

Bulgarien-Wahl: Koalitionsbildung schwierig, kommen bald wieder Neuwahlen?

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In der von der Coronapandemie überschatteten Parlamentswahl in Bulgarien ist die Partei des langjährigen konservativen Regierungschefs Bojko Borissow offenbar mit einem blauen Auge davon gekommen. Die Regierungsbildung wird dennoch schwierig.

Nach den Parlamentswahlen herrscht in Bulgarien Ratlosigkeit. Erwartungsgemäß hat die bürgerlich-konservative GERB-Partei des Ministerpräsidenten Bojko Borissow die Wahl gewonnen, jedoch mit starken Verlusten. In den ersten Hochrechnungen ist die populistische Formation "Ein Volk" zweitstärkste politische Kraft geworden. Die politischen Beobachter im Land sind sich einig - Showmaster Slawi Trifonow hält den Schlüssel zur Regierungsbildung.

Zersplittertes Parlament

Die Wahl hat ein stark zersplittertes Parlament mit voraussichtlich sieben Parteien hervorgebracht. Ersten Hochrechnungen zufolge ist die bürgerlich-konservative Regierungspartei GERB Wahlsieger mit rund 25 Prozent der Wählerstimmen Wahlsieger. Als zweitstärkste Parlamentskraft geht voraussichtlich die populistische Formation "Ein Volk" hervor, die 17 Prozent bekommt und die größte Oppositionspartei, die Bulgarische sozialistische Partei (BSP), auf den dritten Rang mit 16,8 Prozent verdrängt.

Stark umkämpft ist Platz vier. Die bürgerlich-konservative Koalition "Demokratisches Bulgarien", eine Splitterpartei der demokratischen Kräfte aus den Nachwendejahren, kommt auf 10,6 Prozent der Wählerstimmen. Die wirtschaftsliberale Türkenpartei DPS erhält demnach 10,4 Prozent. Das populistische Protestbündnis "Stehe auf" der früheren sozialistischen Abgeordneten Maja Manolowa und der jetzige Koalitionspartner der GERB, die nationalistische VMRO, kommen mit 5,1 Prozent und 4,4 Prozent knapp über die Vier-Prozent-Hürde.

Koalitionsbildung schwierig

Die Regierungspartei GERB käme demnach auf 67 von insgesamt 240 Mandaten im neuen Parlament. Die Populisten von "Ein Volk" hätten 46 Abgeordnete, die Sozialisten mit 45 nur einen weniger. Die Koalition "Demokratisches Bulgarien" bekäme 28 Mandate, eines mehr als die DPS, die mit 27 Volksvertretern ins nächste Parlament einzieht. Das Protestbündnis "Stehe auf" wäre mit 14 Abgeordneten im neuen Parlament vertreten, und die nationalistische VMRO - mit 13. "Angesichts dieser Sitzverteilung sehe ich keine Möglichkeit für eine Regierungsbildung von Parteien mit halbwegs ähnlichen ideologischen Ansichten", rechnet Borjana Dimitrowa vom Meinungsforschungsinstitut Alpha Research aus. Die jetzige Regierungskoalition von GERB und VMRO käme auf 81 Mandate. Weit unter der Regierungsmehrheit von 121 Sitzen bliebe auch eine Koalition aller Protestparteien.

Keine Reaktion der großen Parteien

Angesichts dieser Sitzverteilung halten sich die Parteien in der Wahlnacht bedeckt. Aus der Zentrale der Regierungspartei GERB gab es keine Reaktion. Regierungschef und Parteivorsitzender Bojko Borissow will am Montag eine Pressekonferenz geben. Die stark angeschlagenen oppositionellen Sozialisten (BSP) haben die ersten Hochrechnungen ebenfalls nicht kommentiert und gaben an, das offizielle Endergebnis abzuwarten. Der Gründer der populistischen Formation "Ein Volk", Slawi Trifonow, hat sich auf Facebook gemeldet und geschrieben, er habe Covid-Symptome und lasse sich untersuchen. Aus der Parteizentrale hieß es anschließend, man werde keine Koalition mit den Establishment-Parteien eingehen.

"Zünglein an der Waage"

Auch der Vorsitzende von "Demokratisches Bulgarien" Hristo Iwanow, der die Regierungsproteste im vergangenen Sommer ins Rollen gebracht hatte, war zurückhaltend. Er fasst die Parlamentswahl mit den Worten zusammen, in Bulgarien beginne ein politischer Wandel, jedoch sehr zögerlich. "Dass die Türkenpartei DPS nicht mehr das Zünglein an der Waage bei der Regierungsbildung in Sofia sein wird, wie seit der Wende, ist eine tektonische Veränderung", sagte Iwanow. Maja Manolowa, die Vorsitzende des Protestbündnisses "Stehe auf", zeigte sich zufrieden mit den Wahlergebnissen: "Die außerparlamentarische Opposition, die die Regierungsproteste im Sommer getrieben hat, ist erste politische Kraft geworden."

40 Prozent Wahlbeteiligung

Zwei große Unbekannte gab es vor den Wahlen - die Wahlbeteiligung und die Unterstützung für die neue populistische Formation "Ein Volk" des Showmasters Slawi Trifonow. Mit knapp über 40 Prozent lag die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen in Bulgarien nicht so niedrig, wie erwartet. "Das macht die Wahl absolut legitim und sie kann nicht angefochten werden", kommentierte der Politikwissenschafter Parwan Simeonow.

Zweitgrößte Partei hat keinen Wahlkampf geführt

Als das große Überraschungsei dieser Wahl erwies sich Trifonow - laut ersten Hochrechnungen schafft es seine Partei "Ein Volk" aus dem Stand auf den zweiten Platz. Für den Soziologen Andrej Rajtschew ist er der Königsmacher im neuen Parlament. Für Trifonow, der kein Wahlprogramm aufgestellt und keinen Wahlkampf geführt hat, hätten vor allem enttäuschte Wähler gestimmt, die der politischen Elite die rote Karte gezeigt haben. Der Experte weist darauf hin, dass ein Drittel der Abgeordneten aus neuen Formationen kommen. "Das gibt das Kräfteverhältnis vom vergangenen Sommer wieder, als Tausende gegen die Regierung protestiert haben", sagt Rajtschew.

Reaktionen von Politologen

Für den Politologen Iwo Indschow gibt es eine einfache Erklärung dafür, dass die Protestparteien keinen eindeutigen Wahlsieg einfahren konnten, um die GERB abzusetzen: "Die Wähler haben dem Vorsitzenden von "Demokratisches Bulgarien" Hristo Iwanow nicht verziehen, dass er schon mal Justizminister bei Borissow war, und Maja Manolowa vom Protestbündnis "Stehe auf" - dass sie mit den Stimmen von GERB zur Ombudsfrau gewählt wurde."

So fasste der Politikwissenschaftler Antonij Galabow zusammen, dass Bulgarien sich in einem Übergangszustand befindet, die Gesellschaft zersplittert ist, ohne jedoch eine klare Vorstellung von der politischen Zukunft des Landes zu haben. Auch der Politologe Ognjan Mintschew meint, dass Bulgarien in eine politische Krise hineinrutscht, wenn Neuwahlen noch in diesem Jahr nicht auszuschließen sind. "Sollte es überhaupt zu einer Regierungsbildung kommen, wird sie sehr schwach und von kurzer Lebensdauer sein", erwartet der Experte.
 

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